2006 übernahm der deutsche Pharmakonzern Merck das Genfer Biotechunternehmen Serono von Alinghi-Navigator Ernesto Bertarelli. Sechs Jahre nach der Übernahme segelt die neu geschaffene Sparte Merck Serono nun dem Untergang entgegen: Die Zentrale Genf wird geschlossen, 1250 Arbeitsplätze fallen in der Calvinstadt weg. Zudem werden aus den drei Waadtländer Produktionsstandorte deren zwei, was 80 weiteren Mitarbeitern ihre Stelle kostet. Begründet wird diese drastische Massnahme mit dringender Effizienzsteigerung. In Genf sorgte die heutige Nachricht für Entrüstung, doch weder Regierung noch Gewerkschaften haben Drohungen angekündigt.
Konzentration auf Darmstadt
2006 akquirierte das deutsche Pharma- und Spezialchemiekonglomerat Merck KGaA mit Sitz im hessischen Darmstadt (nicht zu verwechseln mit dem US-Pharmariesen Merck & Co, beide Firmen haben dieselben Wurzeln) das Schweizer Biotechunternehmen Serono. Serono war zuletzt in Besitz der Familie Bertarelli, Multimilliardär Ernesto Bertarelli war Mehrheitsaktionär und gleichzeitig CEO. Mit der Übernahme stieg Bertarelli aus Serono aus, das Unternehmen wurde mit der bisherigen Merck-Pharmasparte Ethicals zur Merck Serono zusammengelegt, welche nebst der Chemiesparte eines der beiden Standbeine des Konzerns bilden. Merck ist einer der wenigen Konzerne, welche weiterhin an beiden Geschäftsfeldern Pharma und Chemie festhalten, die meisten Unternehmen haben sich von einem der beiden Branchen getrennt. Hauptquartier von Merck Serono wurde Genf, quasi als Zugeständnis. Diese Massnahme wird nun rückgängig gemacht, weil die Ausrichtung auf zwei Hauptquartiere in den Augen der Geschäftsführung von Merck ineffizient sei. Deswegen wird der Hauptsitz nun in Darmstadt konzentriert, der Sitz in Genf wird zugesperrt, 1250 Stellen fallen weg. Davon werden 500 abgebaut, die restlichen 750, vor allem diejenigen der Forschung, werden nach Aubonne/VD, Darmstadt, Boston oder Peking verlegt.
Doch damit nicht genug: Nebst dem Genfer Hauptsitz betreibt Merck Serono noch drei Produktionsstandorte: Aubonne/VD, Corsiers-sur-Vevey/VD und Coinsins/VD. Auch hier wird sich eine Konzentration einstellen, das Werk in Coinsins wird geschlossen und die Produktion nach Aubonne verlagert, weitere 80 Stellen werden abgebaut. Die Vertriebsorganisation von Merck Serono wird weiterhin in Zug bleiben, hier sind keine Stellenstreichungen vorgesehen.
Nebst dem Preisdruck, unter dem wohl alle Unternehmen der Branche leiden, wurde dem bisher drittgrössten Schweizer Pharmaunternehmen Merck Serono abgelehnte Zulassungen für Medikamente zum Verhängnis. Merck Serono ist vor allem im Onkologie- und Multiple Sklerose-Bereich tätig. Bereits 2006 geriet die damals noch selbständige Serono unter Druck, nachdem sie sich des Gebrachs illegaler Fruchtbarkeitsmethoden schuldig gemacht hatte.
Fast schon zynisch mutet die beim Serono-Verkauf geäusserte Floskel, dass die Veräusserung zur Sicherung der Arbeitsplätze und der Zukunft des Unternehmens geschehe, an. Bitter scheint auch die Tatsache zu sein, dass damals zwischen Merck und Serono keine vertraglichen Übereinkünfte für den Standort getroffen wurden, da es von Seiten der Bertarellis als selbstverständlich angesehen wurde, dass Merck strategisch langfristig an Genf festhält.
Entsetzen in der Westschweiz
Die Stellenabbauten, oder wie es so schön heisst die Implementierungsmassnahmen, wurden zwar schon Ende Februar angekündigt, doch fallen sie weitaus verheerender aus als erwartet. Die Stadt- und Kantonalgenfer Regierungen reagierten entsetzt über den Kahlschlag, die Nachricht beherrschte die Schlagzeilen tagsüber in der Schweiz. Der Stellenabbau ist der verheerendste in der Geschichte der Stadt Genf, selbst die Schliessung der Société Anonyme des Ateliers de Sécheron (SAAS) war weniger stark. Die Ironie des Schicksals besagt übrigens, das auf dem brachliegenden SAAS-Areal etappenweise ein neues Businessviertel hochgezogen wird, in dem sich just der nun stillzulegende Serono-Sitz befindet.
Im Gegensatz zu den Abbauplänen der Novartis vergangenes Jahr, das Werk Nyon/VD stillzulegen und in Basel die Belegschaft erheblich zu reduzieren, erhebten bisher die Gewerkschaften und auch die Regierung keine Proteste. Dabei waren diejenigen bei der Novartis erfolgreich, der Basler Pharmamulti krebste zurück und verzichtet vorest auf radikale Abbaupläne, nachdem Bundesrat Johann Schneider-Ammann Kantonsregierungen, Gewerkschaften und Novartis-Konzernspitze an einen Tisch gebeten hatte. Vielleicht wurde eine mögliche Chance schon abgeschrieben, nur weil es sich bei Merck um ein ausländisches Unternehmen handelt, zumal der Bundesrat nicht vorrangig über die Massnahme unterrichtet wurde. Der Kanton Genf hat nach der Botschaft bereits Massnahmen zur Betreuung der Gefeuerten durch die Arbeitsämter getroffen – man möchte fast glauben, dass sich an der Rhône und am Genfersee Konsternation und Resignation gegenüber dem Abbau eingestellt haben. Gegenargumente wäre zuhauf vorhanden, von roten Zahlen ist bei Merck keine Spur – 2011 verzeichnete der Konzern über 1.1 Millarden Euro Gewinn, zudem wird im gleichen Atemzug mit dem Stellenabbau die Dividende der Aktionäre um 20 Prozent erhöht.
Manch einer wird sich fragen, was Ex-Serono-Chef Ernesto Bertarelli zum Stellenabbau sagt. Er sei traurig und überrascht – eine Standardfloskel also. In einigen Köpfen stieg wohl die Wut auf, dass der Multimilliardär Serono nur verkauft habe, einerseits um auf der faulen Haut zu liegen, andererseits um weiterhin mit dieser jämmerlichen Nussschale namens Alinghi durch ein paar Regatten zu dümpeln. Nebenbei hat es Bertarelli geschafft, aus dem traditionellen America’s Cup eine Kommerzveranstaltung zu machen, was unter anderem den französischen Luxuskonzern LVMH als Sponsor eines Ausscheidungsturniers vergrault hatte. Bertarelli könnte Charakter beweisen, in dem er Merck ein Angebot für eine Rückübernahme gewisser früherer Serono-Standorte macht, um die Stellen zu retten, zumal Merck Serono im Zuge der Abbaumassnahmen 30 Millionen Franken Kapital zur Gründung neuer Firmen beizustellen versprach; das nötige Kleingeld hat er ja dazu. Wohl keiner der 1330 heute entlassenen Mitarbeiter hat Milliarden auf dem Konto, eine ehemalige Miss United Kingdom und Möchtegern-Sängerin als Ehefrau (um geschlechterneutral zu bleiben noch der Zusatz: einen ehemaligen Mister United Kingdom als Ehegatte) und eine Riesenvilla in Gstaad, wo er gemäss Wikipedia zur Zeit seine Zelte aufgeschlagen hat.
Vielleicht könnten die Herren und Damen Manager von Merck mal auf den einen oder andern Franken oder Euro verzichten, denn auch so könnte das Unternehmen Geld einsparen, zudem ist es höchst fraglich, ob mit hunderten Mitarbeitenden weniger tatsächlich effizienter gearbeitet wird.