Präsidentschaftswahlen USA 2012: Kann sich Obama im Weissen Haus halten?

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Morgen ist der Schicksalstag schlechthin für den amtierenden US-Präsidenten Barack Obama. Schenken ihm seine Landsleute für weitere vier Jahre das Vertrauen, oder muss er für seinen Herausforderer Mitt Romney das Feld räumen? Eine Analyse, 24 Stunden vor den Präsidentschaftswahlen in den USA. Wer wird die nächsten vier Jahre die Geschicke aus dem Oval Office leiten? Der Countdown läuft…

Das Wahlprozedere

Wie kaum in einem anderen Land der Erde werden die Präsidentschaftswahlen so genau auf dem gesamten Planeten verfolgt wie diejenigen der Vereinigten Staaten von Amerika. Grund dafür: Sein Wort ist gewichtig, es gilt! Und ja, weil die USA zum Nabel der westlichen Welt mutiert ist. Aber sich deswegen gleich nächtelange Live-Sendungen antun, auch wenn man das Ergebnis zur selben Zeit erfährt wie der Mitteleuropäer, der die Nacht schlafend in seinem Bett verbracht hatte? Man warte auf den Tag, an dem CNN die Bundesratswahlen live überträgt.
Morgen, dem 6. November 2012 ist es wieder so weit: Nach vier Jahren kommt wieder eines der bürokratischsten Wahlprozedere zur Anwendung, welche die Menschheit je kennen gelernt hatte. Die registrierten Wähler (Bürokratiestufe Nummer 1 – Registration erfolgt nur aus Eigeninitiative) wählen nicht den Präsidenten, sondern die Wahlmänner ihres Staates, auch wenn sie dem Kandidaten die Stimme geben (Bürokratiestufe Nummer 2). Auslandamerikaner sind auch wahlberechtigt, ihre Stimme wird in demjenigen Staat behandelt, in dem sie zuletzt ihren offiziellen Wohnsitz innehatten. Derjenige Kandidat, welcher in einem Bundesstaat am meisten Stimmen erzielt hat, erhält dem Majorzsystem gemäss automatisch alle Wahlmännerstimmen, die auch Elektorenstimmen genannt werden. Am Ende gewinnt der Kandidat mit den meisten Wahlmännerstimmen. Vor vier Jahren holte der aktuelle Amtsträger Barack Obama (Demokratische Partei) zwei Drittel aller Wahlmännerstimmen, konnte am Ende aber „nur“ 52% der Stimmen auf sich vereinen, während sein republikanischer Herausforderer John McCain auf rund 48 Prozent kam. Immerhin konnte der Wahlsieger 2008 die meisten Stimmen und die meisten Wahlmänner holen – 2008 erzielte der Demokrat Al Gore mehr Stimmen als sein republikanischer Gegner George W. Bush und verlor die Wahl dennoch, weil Bush mehr Elektorenstimmen für sich gewinnen konnte, weil er in den bevölkerungsreichsten Staaten der USA gepunktet hatte.
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Newsclip des Schweizer Fernsehens

Die Rolle von Hurrikan Sandy

Ein gutes Beispiel für Wahlkampf bot sich mit dem Wirbelsturm Sandy, auch wenn das Säbelrasseln zwischen Obama und Romney während den Wetterkapriolen offiziell auf Eis gelegt wurde.
Obama spielte den fürsorglichen Landesvater, wie es seinem Amte auch gebührt. Er erfüllte seine Aufgabe bravourös, im Gegensatz zu George W. Bush nach dem Hurrikan Katrina 2005. Übrigens ohne gross herumzuprahlen.
Was von den Republikanern stark herausposaunt wurde ist, dass auch Romney sich ins Schadensgebiet aufgemacht hatte, aber wohl mit mehr Hintergedanken zur Wahl als Obama. Er mimte den freundlichen Helfer wohl nur, um weitere Stimmen zu ergattern.
Für Überraschungen sorgten der amtierende Bürgermeister von New York City, Michael Bloomberg, und Chris Christie, seines Zeichens Gouverneur von New Jersey. Bloomberg, welcher 2001 von den Demokraten zu den Republikanern gewechselt war, um im selben Jahr parteiinternen Vorwahlen zur Nachfolge des republikanischen Amtsträgers Rudolph Giuliani zu entgehen, 2007 aber aus der Partei ausgetreten war, empfahl nach dem Sturm Obama zur Wiederwahl.
Noch erstaunlicher ist der Werdegang von Chris Christie. Der republikanische Gouverneur von New Jersey hatte Obama noch während des Parteitags im August aufs heftigste kritisiert und ihm mangelnde Führungsqualitäten attestiert. Sandy hat wohl auch Christies Ansichten durcheinandergewirbelt, denn nach dem Sturm lobte er Obama dessen Krisenmanagements wegen, denn der Präsident habe für die betroffenen Staaten gesorgt. Doch Christie hat diese Kehrtwende wohl kaum ohne Hintergedanken vollzogen: Er gilt als aussichtsreicher Kandidat der Republikaner für künftige Präsidentschaftswahlen und bei einem Sieg Obamas könnte Christie bereits 2016 gegen einen Kandidaten der Demokraten antreten (ein Präsident darf in den USA maximal zwei Amtszeiten regieren) und dementsprechend auch Siegeschancen haben, während er bei einem Sieg Romneys bis 2020 warten müsste, um parteiinternen Duellen aus dem Weg zu gehen.
Noch eine Frage zu Sandy? Warum berichten die Medien nicht auch über die anderen Katastrophenregionen in der Karibik, so zum Beispiel das von einer Hungerperiode bedrohte Haïti?

Hält sich Obama im Sattel?

Es lässt sich trotz des vorbildlichen Handelns Obama nach Sandy nicht verleugnen: Die Obama-Welle von 2008 ist abgeflacht. Yes, we can! – der Slogan ist längst verraucht. In Europa ruhen noch zahlreiche Hoffnungen auf dem Amtsträger, in den USA sind jedoch kritische Stimmen nicht selten – die Umfrageergebnisse sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen ihm und Herausforderer Romney heraus. Kontrovers diskutiert wurde auch die Vergabe des Friedensnobelpreises 2009 an Obama, weil dieser nur seine Versprechung zur atomaren Abrüstung und zur Völkerverständigung zu Grunde liegt.
Was man aber bedenken muss, bevor man über Obama herziehen will: Viele Entscheidungen von seiner Seite werden blockiert, da die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus besitzen. Der Hickhack um die Gesundheitsreform ist das beste Beispiel dafür. Diese ewige Blockierung zwischen Demokraten und Republikaner ist mitunter ein Grund dafür, dass die USA hinter ihrer Heile-Welt-Fassade eigentlich ein Entwicklungsland sind.
Nichtsdestotrotz sind viele Amerikaner enttäuscht von Obama, was sich Romney während seiner Kampagne zu Nutzen machte und sich als „ihr“ Kandidat positionierten konnte. Ob er es besser kann, scheint fraglich. Man könnte auch den Bogen zu bisherigen republikanischen Präsidenten schlagen: Bush senior und Bush junior – ohne Worte. Reagan – machte sich sein früherer Beruf als Schauspieler zu Nutzen und positionierte sich als Showman, in etwa frei nach dem Motto Viel Lärm um nichts, sein Deal mit den iranischen Aufständischen, welche die damalige US-Botschaft in Teheran besetzt hatten und nach einer misslungenen Befreiungsaktion und die darauffolgende Abwahl von Jimmy Carter ist längst ein offenes Geheimnis. Nixon – Stichwort Watergate sollte für eine Rekapitulation reichen. Auch die demokratischen Amtsträger haben sich freilich nicht mit Ruhm bekleckert, oder gewisse Praktikantinnen mit Körperflüssigkeiten, aber das soll ja nichts über politisches Schaffen aussagen. Solch Listen könnte man übrigens auch bei den Schweizer Bundesräten erstellen – wäre da noch einer seines Amtes fähig? Wir lassen die Frage mal im Raum stehen.
Das Ergebnis ist offen. Auch wenn jeder mit gewissem Menschenverstand sein Kreuzchen bei „Barack Obama“ machen wird…
Für Romneys Konservatismus wie beispielsweise seine Haltung zur Abtreibung ist im 21. Jahrhundert keinen Platz mehr.
Tagesschau vom 04.11.2012
Einschätzung von SF-Korrespondent Arthur Honegger vor den letzten Stunden vor der Wahl (aus: SF Tagesschau vom 4. November 2012

Siehe auch

  • Präsidentschaftswahlen USA 2012: Obama gegen Romney – Cabo Ruivo vom 29. August 2012
  • Links

  • Cabo Ruivo-Artikel zu den Wahlen in den USA 2012
  • Themenschwerpunkt des Schweizer Fernsehens
  • 2012 Election Center:Themenschwerpunkt von CNN (in englischer Sprache)
  • Themenschwerpunkt von SPIEGEL ONLINE
  • Beliebtheitsskala von Obama und Romney
  • Obamas Rede nach dem Wahlsieg 2008 (deutsche Übersetzung auf SPIEGEL ONLINE)
  • Obamas Rede beim Amtsantritt 2009 (in englischer Sprache auf SPIEGEL ONLINE)
  • Offizielle Website des Weissen Hauses (in englischer Sprache)
  • Offizielle Website der Wahlkampagne Obama/Biden 2012 (in englischer Sprache)
  • Offizielle Website der Romney/Ryan-Kampagne (in englischer Sprache)
  • Does Money Matter? – Welche Rolle spielen die Wahlkampfspenden wirklich
  • Dossier von 20 Minuten Online zu den Präsidentschaftswahlen in den USA
  • Countdown 2012 – Blog zu den US-Wahlen 2012 auf NZZ Online
  • Mitt Romneys Rede anlässlich des RNC im Tampa (in englischer Sprache)