Schwyzer Justizstreit: Neue Erkenntnis – Gerichtspräsident bespitzelte Staatsanwälte

Geschichte Gesellschaft Justiz Kriminalistik Magazin Medien Politik Schweiz Verbrechen

Der Schwyzer Justizapparat wird zur Zeit durch einen heftigen Streit zwischen Kantonsgerichtspräsident und der Staatsanwaltschaft erschüttert. Ausgebrochen ist die Kontroverse in Bezug auf Handydaten in den Mordfällen Lucie und Boi. Nachdem bereits zwei am Konflikt beteiligte Staatsanwälte den Hut genommen haben, sind nun weitere pikante Details ans Licht gerückt: Kantonsgerichtspräsident Martin Ziegler habe seine Staatsanwälte telefonisch überwacht. Die Schwyzer Kantonsregierung sei über diese illegale Aktion im Bilde gewesen. Justizdirektor Peter Reutelers Versuche, die Angelegenheit aufzuklären, wurde von seinen Regierungsratskollegen blockiert. Der Streit verkommt immer mehr zu einer Farce, denn es ist total unklar, wer auf der richtigen Seite des Gesetzes zu stehen scheint.

Anrufdauer und Anrufziel verlangt
Die Angelegenheit zieht immer weitere Kreise – Justitia ist langsam gottenfroh, ihres Augenlichts beraubt zu sein. Nachdem zwei in den Streit involvierte Staatsanwälte, Georg Boller und Christina Müller, (im Falle von Boller nicht freiwillig, wie zunächst in den Medien publiziert) von ihren Posten zurückgetreten sind, geht es nun Kantonsratspräsident Martin Ziegler an den Kragen – er habe die Staatsanwaltschaft bespitzelt. Ein Vorgehen, das nicht erst seit der Fichenaffäre Anfangs der 1990er-Jahre umstritten und ebenso illegal ist. Diese Eskalation des Konflikts lässt nun die Schlinge um Zieglers Hals enger werden.
Ziegler habe die Anrufe seiner Staatsanwälte nicht mitgehört, wollte aber über die Dauer und das Ziel aller Telefonate im Bilde sein. Offizieller Grund war, den Urheber einer Indiskretion zu finden. Damit ist wohl der ehemalige leitende Staatsanwalt Boller gemeint, dieser wird nämlich wegen Amtsgeheimnisverletzung angeklagt, weil er einen geheimen Bericht anderen Verhörrichtern zugänglich gemacht habe. Problematisch für Boller ist, dass der Bericht den Medien zugespielt wurde, doch nicht von ihm selbst.
Schweiz aktuell vom 20.01.2012
Bericht von Schweiz aktuell des Schweizer Fernsehens am 20. Januar 2012 über das Strafverfahren gegen Georg Boller

Regierungsrat war informiert
Die Schwyzer Regierung habe Kenntnis von der Sache gehabt. Als der amtierende Justiz- und Sicherheitsdirektor Peter Reuteler (FDP) für Klarheit sorgen wollte, wurde er eigenen Angaben nach von seinen Amtskollegen zurückgepfiffen. Nun wolle er noch einmal einen Versuch unternehmen, sagte er. Doch die Zeit wird knapp: Bei den diesjährigen Regierungsratswahlen tritt der Wollerauer nicht mehr an, der Streit spiele jedoch keine Rolle, Reuteler hat bereits bei seiner Amtseinführung 2004 gesagt, nur bis 65 im Amt bleiben zu wollen. Ein Alter, das er jetzt erreicht habe.
Ziegler habe die Erlaubnis zur Bespitzelung am 30. Juli 2010 erteilt, wohl damit er absolute Kontrolle über die Staatsanwaltschaft habe. Der oberste Richter des Kantons habe die Legitimation zu dieser Tat bei Weitem nicht innegehabt. Gemäss Peter Reuteler wurde dieser im Herbst desselben Jahres von Boller über die Angelegenheit informiert und auch befragt, ob die Erlaubnis von seiner Seite gekommen war. Nachdem Reuteler daraufhin reinen Tisch machen wollte und die ganze Geschichte aufklären wollte, wurde er vom restlichen Regierungsrat abgeblockt. Auch die Entlassung Bollers sei von der Regierung gegen den Willen Reutelers über die Bühne gegangen. Der Verdacht von Vertuschung liegt nahe.
Schweiz aktuell vom 24.01.2012

Die Gründe des Justizstreits
Der unerklärliche Konflikt zwischen dem Kantonsgericht und der Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz schwelt seit dreieinhalb Jahren, als im Mordfall der in Pfäffikon/SZ als Au-pair-Mädchen arbeitende Lucie Trezzini publik wurde, dass Kantonsgerichtspräsident Martin Ziegler sich geweigert habe, wichtige Handydaten der Ermordeten für die Ermittlung herauszugeben. Lucie wurde im März 2011 ermordet, es ist ungeklärt, ob die Handydaten auf die Spur ihres Entführers geführt hätten, bevor er die junge Frau umgebracht hatte. Ziegler erhielt Informationen über ihren Aufenthaltsort – Baden/AG, wo sie auch tot aufgefunden wurde – er übergab sie jedoch nicht den Ermittlern. Die Vorwürfe gegen ihn wurden damals von Christina Müller, die aus Unlust über diesen Krach gestern ihr Amt zur Verfügung gestellt habe (siehe oben), erhoben.
Schweiz aktuell vom 17.03.2009
Schweiz aktuell zum Handydaten-Streit
Ziegler an sich geriet bis zum heutigen Tage nie in den Fokus der Justiz, auch nach dem im Falle der ebenfalls ermorderten Boi Ngoc Nguyen aus Schwyz Parallelen festgestellt wurden. Auch hier verweigerte Ziegler die Herausgabe der Handydaten. Besonders delikat ist, dass die Ermittler eigentlich Bois Mörder schon nach ihrem Verschwinden im Sommer 2009 auf der Spur waren, die Leiche jedoch erst ein Jahr später im Tessin entdeckt wurde – als sie bereits skelettiert war.
10vor10 vom 08.07.2010
Bericht von 10 vor 10 über die zögerliche Herausgabe von Daten im Mordfall Boi

Der Bericht der für den Fall eingesetzten parlamentarischen Untersuchungskommission entlastete Ziegler im Fall Lucie und gab die Schuld der Schweizer Justizdepartements in Bern, obwohl durch den Fall Boi das Gegenteil bewiesen wurde, geriet Ziegler aus der Schusslinie. Es war übrigens dieser Untersuchungsbericht, der Boller zum Verhängnis wurde.
Tagesschau vom 24.09.2009
Tagesschau am Mittag über den parlamentarischen Untersuchungsbericht zum Fall Lucie

10vor10 vom 17.03.2009
Beitrag von 10 vor 10 über die Einsetzung der PUK und das Vorgehen Zieglers mit den Handydaten

Die damalige Justiz- und heutige Finanzministerin, Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf (BDP) musste nach dem Fund von Lucies Leiche im Nationalrat Stellung in einer Fragestunde zum Fall nehmen. So geht es einerseits um Opferschutz, andererseits um allfällige Mängel und Versäumnisse bei den Ermittlungen – wie sich später herausstellte, war das der Fall.
Tagesschau vom 16.03.2009
Tagesschau vom März 2009 über die Fragestunde im Nationalrat

Angelegenheit unter den Tisch gekehrt
Nun zu meinem Kommentar zur ganzen elenden Geschichte. Dass Martin Ziegler nicht gerade die Feinheit in Person ist, hat er in den Fällen Lucie und Boi ja bewiesen, auch seine teils geschmacklosen Kommentare in den Fernsehbeiträgen wären nicht zu ignorieren. Wieso er dennoch nicht belangt wurde, und warum der Fokus auf die Staatsanwälte gelegt wurde, ist mir ein Rätsel. Sollte, wie von Schweiz Aktuell ins Spiel gebracht, die Schwyzer Regierung mittendrin im ganzen Schlamassel sitzen, so erwarte ich ein Köpferollen. Diese Personen haben ihre Glaubwürdigkeit mehr als nur verloren.
Für mich wird der Aufklärung der ganzen Sache ohnehin zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet – nein, man redet lieber über den Prozess gegen zwei Luzerner Polizeibeamte, die halt zufällig auf Schwyzer Kantonsgebiet (Arth) einen Fehleinsatz ausgeübt haben. Aber der Justizstreit basiert auf Fällen, bei denen zwei Menschen ermordet wurden und vielleicht noch am Leben wären, wäre Ziegler nicht so zögerlich mit den Handydaten umgegangen. Also soll endlich mal gegen ihn ermittelt werden und zwar wegen indirekter Beihilfe zum Mord! Nur aus Machtgier solche Versäumnisse zu verursachen, ist einfach nicht tolerierbar – und eine Bespitzelung schon gar nicht! Wenn die Schwyzer Regierung noch Mumm in den Knochen hat, so soll sie Herr Dr. Ziegler seines Amtes entheben und vor Gericht stellen…
Übrigens finde ich es höchst schleierhaft, dass der Bote der Urschweiz die Kontroverse beziehungsweise die Spionage in ihrer Ausgabe vom 25. Januar mit keinem Wort erwähnt, obwohl sie tags zuvor im Onlineportal der Tageszeitung aufgetaucht war.

Links

  • Beitrag vom Regionaljournal Zentralschweiz als MP3
  • Siehe auch

  • Schwyzer Justizstreit: Ziegler wird Vertrauen entzogen