Als das Schweizer Schienennetz noch dichter war…

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Die Schweiz besitzt eines der dichtesten Bahnnetze der Welt, auch die Anzahl Fahrten pro Kopf sind rekordverdächtig. Doch es gab auch Zeiten, da existierten noch mehr Kilometer, noch mehr Gegenden wurden erschlossen. Viele Bahnstrecken sind seither stillgelegt worden. Meistens waren es schmalspurige Privatbahnen, doch auch unsere Staatsbahnen haben auf die Bedienung einzelner Streckenabschnitte verzichtet.

Meistens Privatbahnen betroffen

Nahezu keine Region der Schweiz war vom Bähnlisterben verschont worden. Nebst dem Tessin traf es jedoch die Innerschweiz sehr hart. Bis auf die Hauptstrecken zum Gotthard und nach Chur, die Bergbahnen auf die Rigi und die heutigen Zentralbahn-Meterspurstrecken nach Engelberg und über den Brünig nach Interlaken ist das meiste verschwunden. Die NZZ hat dem Verschwinden zahlreicher Bahnstrecken einen Artikel gewidmet. 1959 beispielsweise wurde die Talstrecke der Arth-Rigi-Bahn zwischen Arth und dem Bahnhof Goldau stillgelegt, nachdem sie bereits 1881 von der heute noch bestehenden, aber lange Zeit ebenfalls existenzbedrohten Bergbahn getrennt wurde. Heute stellt eine Buslinie die Verbindung von Morschach nach Brunnen her, zwischen 1905 und 1969 war das die Aufgabe einer drehstrombetriebenen Zahnradbahn. Hätte das Bähnlein ein paar Jährchen mehr durchgehalten, wäre es nicht stillgelegt worden, sondern würde heute als Museumsbahn betrieben. Die verwendeten Rowan-Triebwagen waren eine Seltenheit. Strassenbahnverbindungen existierten von Seewen/SZ über Schwyz nach Brunnen sowie von Flüelen/UR nach Altdorf. Auch ihr letztes Stündchen hat vor Jahrzehnten geschlagen.
Nur gerade die Westschweiz und der Kanton Graubünden wurden grösstenteils vom Aderlass ausgelassen, einzig die Bahnverbindung zwischen Bellinzona und Mesocco/GR wurde 1970 aufgehoben. Letztere hat gerade den Bogen zum Tessin gespannt. Während früher zahlreiche Seitentäler von schmalspurigen Bahnlinien erschlossen wurden und so Anschluss an die Gotthardbahn hatten, sind nebst den drei südlichen Gotthardzufahrten von Chiasso, Luino und Locarno einzig noch die Schmalspurbahnen zwischen Locarno und Domodossola/I beziehungsweise Lugano und Ponte Tresa übrig geblieben. So war beispielsweise auch das Maggiatal per Bahn zu erreichen, und rund um Lugano wurde ein relativ feines Bahnnetz gesponnen.

Sehr beliebt bei Einstellungen waren auch Strassenbahnen. Waren sie früher auch in ländlichen Gebieten der Schweiz präsent, so existieren sie heute nur noch als Stadtnetze in Zürich, Bern, Basel und Genf. Wobei letzteres auch am Verschwinden war, bis vor einigen Jahren eine Kehrtwende gezogen wurde und den Fokus auf den Wiederausbau des Netzes gelegt wurde. Sehr beliebt waren früher auch Hoteltrams, wie beispielsweise auf der Riffelalp. Sie dienten zur Verbindung des Gasthauses mit der Station einer Bergbahn oder einem Bahnhof. Ebenfalls zum Opfer fielen Zahnradbahnen, die eingangs erwähnte Brunnen-Morschach-Axenstein-Bahn hatte ihr Ende vor allem der Schliessung der beiden Axenstein-Hotels zu verdanken, daneben natürlich auch dem moderaten Zustand ihres Rollmaterials.

Der Rotstift wurde auch von den SBB angesetzt

Doch nicht nur Privatbahnen legten Strecken still oder wurden aufgelöst, auch die grossen Mitspieler, die SBB und die BLS, benutzen nicht mehr alle Strecken, die sie mal hatten. Am Brienzersee ist so die Strecke Interlaken Ost-Bönigen zu erwähnen, die als Teil der historischen Bödelibahn eröffnet wurde. Personenverkehr findet schon lange keiner mehr statt, aber die Strecke ist immer noch befahrbar – da eine BLS-Hauptwerkstätte in Bönigen liegt. Ebenfalls nicht mehr bedient wird die Strecke Affoltern-Weier – Huttwil, dies aufgrund der Integration der Strecke ins Berner S-Bahn-Netz, denn aufgrund des Verzichtes kann umlaufbedingt eine Komposition eingespart werden. 2009 entfiel dann auch der Personenverkehr zwischen Sumiswald-Grünen und Affoltern-Weier.
Auch die SBB weisen stillgelegte Strecken auf. Einige jedoch mussten neuen Strecken weichen, wie zum Beispiel die Strecke vom Zürcher HB via Letten nach Stadelhofen, die durch die unterirdische S-Bahn-Durchmesserlinie ersetzt wurde. Anfangs wollte die SBB die Strecke noch befahrbar halten, war jedoch nach dem Letten-Drogenskandal zur Aufgabe gezwungen. Die letzten Gleise wurden 2004 abgetragen. Die Strecke Weesen-Näfels wurde nach der SBB-Gründung 1902 zugunsten der direkteren Verbindung nach Ziegelbrücke aufgehoben. Besonders aktiv beim Stilllegen war die SBB in der Region Solothurn, denn hier fielen die Bahnstrecken Solothurn-Büren an der Aare und Solothurn-Herzogenbuchsee dem Rotstift zum Opfer, die Frequentierung war in den Augen der SBB mangelhaft. Letztere wurde vom Ende des Anschlussgleises in Derendingen her bis Inkwil jedoch zu einer Abzweigung der Neubaustrecke Mattstetten-Rothrist umgebaut, so dass die ICN von Olten in Richtung Solothurn-Biel neu einen Teil der NBS nutzen können und ihnen so den zeitraubenden Umweg via Oensingen erspart bleibt. Im Zuge der anderen Streckenstilllegung, derjenigen nach Büren an der Aare, entstand ein Sonderfall als Konsequenz. 1994 wurde die Strecke “vorübergehend” eingestellt, der definitive Entscheid des UVEK folgte erst 2003. Dasselbe gilt übrigens für die grenzüberschreitende Verbindung Etzwilen/TG-Singen/D, bereits seit 1992 ausser Betrieb befindlich. Jedoch gibt es dort Bestrebungen zur Wiederaufnahme im Museumsverkehr. Zurück ins Mittelland: Die Gleisanlagen sind noch vorhanden, die Fahrleitung abgebaut. Eine interessante Besonderheit stellt da der Bahnhof Büren an der Aare dar – er besitzt ein Gleis, aber zwei Prellböcke. Ein Prellbock markiert das Ende der noch betriebenen Strecke aus Kerzers-Lyss. Danach folgt ein nur wenige Meter breiter Bahnsteigzugang, danach folgt der zweite Prellbock, der in Gegenrichtung aufgestellt ist und das Ende der Strecke aus Solothurn bildet.
Zudem wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Verbindung Vallorbe/VD-Pontarlier/F nicht mehr aufgenommen, denn diese anfänglich wichtige Strecke verlor zugunsten der Strecke Vallorbe-Frasne zunehmend an Bedeutung, da die Züge Paris-Lausanne-Mailand jeweils in Vallorbe eine Spitzkehre absolvieren mussten, während die Strecke durch den Mont D’Or nach Frasne diesen erübrigt.
Andere Strecken wiederum wurden umgespurt und an Strassenbahnen weitergegeben. So geschehen bei der kurzen Strecke zwischen Suhr/AG und Aarau. Sie wurde 2004 stillgelegt, das Trassee wurde an die parallel und bis anhin auf der Strasse verkehrende Wynental- und Suhrentalbahn übergeben. Ebenfalls übernahm die WSB auf dem Abschnitt Reinach-Menziken das Trassee der 1992 aufgehobenen Seetalbahn-Zweigstrecke von Beinwil am See nach Beromünster.

Andersweitige Nutzung möglich

Nach der Stilllegung wurden die meisten Bahnanlagen abgebaut, vereinzelt werden sie noch als Anschlussgleise befahrbar gehalten. Doch es kann auch anders enden. Zwei Jahre nach der Stillegung der Querverbindung zwischen der MOB und der Strecke Vevey-Les Pléiades wurde zwischen Blonay und Chamby auf private Initiative hin eine Museumsbahn geschaffen. Dasselbe wurde auf der stillgelegten SBB-Strecke von Etzwilen/TG nach Ramsen/SH ebenfalls iniziiert, zur Zeit sind dort gar Fahrten mit speziellen Velodraisinen als Touristenattraktion möglich.

Doch es gab auch neue Strecken

Es war nicht nur Aderlass angesagt. Mit der NBS und dem Lötschberg-Basistunnel gingen neue Strecken in Betrieb, die massgeblichen Einfluss auf die Fahrplanverbesserungen mit sich brachten. Nicht zu vergessen ist der 1982 eröffnete Furkatunnel, die damals stillgelegte Bergstrecke ist dank dem Einsatz von Frondienstler als Dampfbahn wieder vollständig befahrbar. Ein weiterer Meilenstein kommt in den Jahren 2016 und 2019 mit der Eröffnung der Basistunnels am Gotthard und am Ceneri dazu. Auch Reaktivierungen hat es gegeben: 2004 wurde nebst der oben erwähnten ABS Derendingen-Inkwil die 1943 als strategische Umgehung des Knotens Olten Kriegsschlaufe zwischen Zofingen und Rothrist aktiviert, um Luzern einen Zugang zur NBS zu ermöglichen. Seit Dezember 2004 rollen nun die bisher durchs Emmental führenden InterRegio-Züge nach Genf Flughafen über die Kriegsschlaufe und haben sich zu einer sehr beliebten Verbindung gemausert, laut SBB eine derjenigen mit den höchsten Zuwachsraten schweizweit. Einen freien Platz zu finden ist schwer. Um dem entgegen zu wirken, werden in den Hauptverkehrszeiten ab Fahrplanwechsel IC2000-Doppelstockzüge eingesetzt.

Siehe auch

  • Auf den Spuren stillgelegter Bahnen in der Gemeinde Ingenbohl: Mühlibähnli und die alte GotthardbahnCabo Ruivo vom 30. März 2014
  • Auf den Spuren stillgelegter Bahnen in der Gemeinde Ingenbohl: BrMB und SStBCabo Ruivo vom 28. März 2014
  • Links

  • NZZ-Artikel zum Thema
  • Webseite über die eingestellten Bahnen der Schweiz
  • Stillgelegte Bahnen, und was darauf geworden ist (litra.ch)
  • Vergessene Bahnen – die Liste
  • 1 thought on “Als das Schweizer Schienennetz noch dichter war…

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