25 Jahre Lockerbie: Als Libyen Pan-Am-Flug 103 gesprengt haben soll

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Am 21. Dezember 1988 explodierte über der schottischen Kleinstadt Lockerbie ein Sprengsatz in einer Boeing 747 der Pan American World Airways, die als Pan-Am-Flug 103 auf dem Weg von London-Heathrow nach New York-John F. Kennedy unterwegs war. Alle 259 Passagiere und Besatzungsmitglieder kamen dabei ums Leben, ebenso elf Einwohner Lockerbies. 2002 übernahm Libyen die volle Verantwortung für den Anschlag, offiziell zwar ohne je eine Schuld einzuräumen, doch das Attentat soll als Vergeltung für zwei US-Bombenangriffe im Jahre 1986 persönlich von Machthaber Muammar-al-Gaddafi in Auftrag gegeben worden sein. Pan-Am-Flug 103 bedeutete nicht nur eine Luftfahrtkatastrophe, sondern auch eines der aufsehenerregendsten Justizereignisse des 20. Jahrhunderts, denn bis heute ist nicht restlos geklärt, ob Libyen überhaupt am Anschlag beteiligt war.

Die letzten Augenblicke von Pan-Am-Flug 103

Grafische Simulation der Boeing 747 nach der Explosion an Bord von Pan-Am-Flug 103 (Copyright: Wikimedia Commons/Anynobody)
Die Flugverbindung PA103 begann ihre Reise am Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt am Main, wo eine Boeing 727 mit 89 Passagieren an Bord mit Ziel London-Heathrow startete. Dort übernahm die Boeing 747-121 mit Kennzeichen N739PA und Taufnamen Clipper of the Seas den Flug, um über den Atlantik den John F. Kennedy-Flughafen in New York anzusteuern. Sie war zuvor mit der Verkehrsleistung PA124 von San Francisco nach Heathrow gekommen und über den Nachmittag abgestellt. Flugplanmässiger Abflug in Heathrow wäre um 18:00 Uhr Ortszeit gewesen (19:00 MEZ). Mit 25-minütiger Verspätung im dichten Weihnachtsflugverkehr hob Pan-Am-Flug 103 schliesslich ab und verliess London in Richtung Norden. Um 19:00 Uhr übernahm die schottische Luftüberwachung am Flughafen Glasgow-Prestwick die Maschine von ihren englischen Kollegen. Kurz nachdem die Maschine mit dem Codenamen Clipper One Zero Three die von Prestwick verwaltete Freigabe für den Flug über den Atlantischen Ozean erbitten wollte, brach der Funkkontakt ab. Pan-Am-Flug 103 war zu diesem Zeitpunkt mit einer Fluggeschwindigkeit von 580 km/h unterwegs. Versuche einer erneuten Funkkontaktaufnahme von Prestwick und einer zur Unterstützung aufgeforderten KLM-Maschine in der Nähe blieben erfolglos, auf dem Radarschirm begannen sich kleine Quadrate zu streuen. Um 19:30 stürzte der Flügel auf einige Häuser in Lockerbie und entfachte ein grossflächiges Feuer. Die Explosion der Bombe schlug ein rund 0.5 Meter grosses Loch in den Rumpf, die heftigen Druckwellen, aber auch der Druckunterschied zwischen Aussenwelt und Kabine in 9400 Metern Höhe liessen die Maschine innert wenigen Sekunden auseinanderfallen. Nicht angeschnallte Personen wurden in die Luft geschleudert, herumfliegende Gegenstände wurden zu Geschossen. Zahlreiche Leichen in Lockerbie wurden noch in den Sitzen angeschnallt gefunden, gemäss Augenzeugenberichten wurden von Anwohnern zwei Personen noch lebend gefunden, sie verstarben aber bevor Hilfe eingetroffen sei.
Obwohl das gesamte Dorf von Leichen- und Trümmerteilen gesäumt war, stand das Leben in Lockerbie nicht still. Die angereisten Angehörigen wurden versorgt und persönliche Gegenstände der Opfer wurden nach Freigabe durch die forensischen Behörden von den Einwohnern in einen möglichst transportfähigen Zustand gebracht, um sie den Angehörigen übergeben zu können. Zahlreiche damals entstandene Kontakte würden bis heute anhalten.
Unkommentierter Bericht über das Attentat auf Pan-Am-Flug 103 vom 21. Dezember 1988 von Schweizer Radio und Fernsehen

Gaddafi als Drahtzieher des Attentats?

Nach dem Attentat gingen zahlreiche Bekenneranrufe mit unterschiedlichen Motiven ein, von denen jedoch keines den Ermittlungen glaubhaft schien. Die bis anhin grösste kriminaltechnische Ermittlung Grossbritanniens wurde ausgerechnet von der kleinsten Polizeieinheit, dem Dumfries and Galloway Constabulary geleitet. Durch Analyse des Koffers, in dem sich die Bombe befunden hatte, wurden Überreste eines nur in kleinen Stückzahlen hergestellten Zeitzünders entdeckt, der bereits bei einem im Senegal verhafteten libyschen Geheimagenten beschlagnahmt wurde. Im Koffer befand sich nebst der Bombe auch Babykleidung, die gemäss einem maltesischen Händler, der im Prozess zum Hauptzeugen mutierte, an einen Libyer verkauft wurde. Aus diesem Grund konzentrierten sich die Ermittlungen auf das Libysche Militär.
Daraufhin wurden Mordanklagen gegen den libyschen Geheimdienstmitarbeiter Abdel Basset Ali al-Megrahi und Lamin Khalifah Fhimah, einem Mitarbeiter der Libyian Arab Airways, erhoben. Der UNO-Sicherheitsrat forderte danach von Libyen die Auslieferung der beiden Männer. Der Aufforderung kam der nordafrikanische Stadt erst nach diversen Sanktionen und der Verlagerung des Prozesses nach Den Haag/NED nach. 2001 wurde al-Megrahi zu lebenslanger Haft in Schottland verurteilt.
Beitrag von 10vor10 von Schweizer Radio und Fernsehen vom 22. Dezember 2008 zum 20. Jahrestag des Lockerbie-Anschlags

2002 übernahm Libyen die Verantwortung für den Anschlag, ohne jedoch als Staat die Schuld einzugestehen. Es wurde nur bestätigt, dass die Täter das Attentat als Vergeltung der US-Militäroperation El Dorado Canyon, welche aus Bombardierungen der Städte Tripolis und Bengasi als Reaktion auf den von Libyern ausgeführten Bombenanschlag auf die Discothek LaBelle in Berlin mit drei Toten und 229 Verletzen, vorwiegend Angehörige der US-Streitkräfte. Einer der damals am Militärschlag beteiligten Piloten war der Sohn des Kapitäns von Pan-Am-Flug 103.
Mehrere Berufungsgesuche al-Megrahis wurden abgelehnt, 2009 jedoch begnadigte die schottische Regierung den Attentäter aufgrund seiner Prostatakrebserkrankung und liess ihn nach Libyen ausreisen, wo er im Frühling 2012 starb. Nach der Revolution im Lande 2011 bemühten sich die USA erfolglos um eine Auslieferung al-Megrahis, da die Freilassung 2009 insbesondere in der USA Unmut hervorgerufen hatte. Gemäss Dokumenten, die auf der Enthüllungsplattform WikiLeaks veröffentlicht wurden, drohte Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi mit dem Abzug sämtlicher Wirtschaftsbeziehungen mit Grossbritannien, sollte Schottland das Berufungsgesuch erneut ablehnen. In seiner libyschen Heimat wurde al-Megrahi bei seiner Ankunft nach der Entlassung als Held gefeiert.

Bericht der BBC zur Freilassung al-Megrahis

Zahlreiche Verschwörungstheorien

Jedoch ranken sich bis heute zahlreiche Verschwörungstheorien rund um Pan-Am-Flug 103. Die Schweizer Herstellerin des Zeitzünders belieferte mit diesem unter anderem auch das Ministerium der Staatssicherheit (MfS) der DDR, umgangssprachlich als Stasi bekannt, das wiederum diese an palästinensische Organisationen weitergegeben haben. Ebenso wurden in der Vergangenheit Motive des iranischen Geheimdienstes ins Spiel gebracht, die bereits von Bekenneranrufen aufgegriffen wurden. Hauptgrund war der Abschuss eines Airbus A300 als Iran Air-Flug 655 während dem ersten Golfkrieg (Iran-Irak-Konflikt) durch das US-Kriegsschiff USS Vincennes am 3. Juli 1988 mit 290 Todesopfern. Seit Jahren mehren sich die Gerüchte, dass damals beim Prozess in Den Haag Ungereimtheiten aufgetreten sind und sich die Ermittler entgegen entsprechenden Hinweisen viel zu schnell auf Libyen konzentriert haben. Ein iranischer Geheimdienstmitarbeiter, welcher die Gerüchte über einen iranischen Hintergrund des Anschlags kurz nach dem Ereignis bekräftigt hatte, wurde zum Prozess nicht vorgeladen. Ein Grund dafür könnte das politische Verhältnis der USA und Grossbritannien zum zweiten Golfrieg in den 1991 sein, wo der Iran sich nicht am Geschehen beteiligt hatte.
Meldung der Rundschau des Schweizer Fernsehens zur allfälligen Unschuld Libyens am Lockerbie-Attentat

Dokumentarfilm BBC The Conspiracy Files: Lockerbie (in englischer Sprache)

Dokumentarfilm Der Bombenanschlag von Lockerbie (Dauer: ca. 46 Minuten)

Siehe auch

  • Todesflug Swissair 111: Neue Gerüchte über UnfallursacheCabo Ruivo vom 22. August 2011
  • Lauda Air-Flug 004: Wie Fahrlässigkeit zum Unglück führteCabo Ruivo vom 1. November 2013
  • Der Fall Swissair 111 wird immer konfuser: Cabo Ruivo vom 14. September 2011
  • Crossair vernachlässigte Flugsicherung: 24 Tote in Bassersdorfer Wald: Cabo Ruivo vom 24. November 2011
  • 34 Jahre nach Absturz: Schweizer Flugzeug vor Madeira gefunden: Cabo Ruivo vom 25. Oktober 2011
  • Links

  • Themenschwerpunkt von The Guardian (in englischer Sprache)
  • Chronologie der Ereignisse seit dem Anschlag auf Pan-Am-Flug 103 aus dem Guardian (in englischer Sprache)
  • Der Terroranschlag von LockerbieNZZ Online vom 19. Dezember 2013
  • Die Zweifel von LockerbieZEIT Online vom 21. Dezember 2013
  • Ermittlungen 25 Jahre nach Anschlag über LockerbieDer Standard Online vom 21. Dezember 2013
  • Explosiver WiderrufFrankfurter Allgemeine Zeitung Online vom 31. August 2007
  • Lockerbie bombing marks 25th anniversaryAl Jazeera vom 21. Dezember 2013 (in englischer Sprache)
  • Interview mit dem UNO-Prozessbeobachter Dr. Hans Köchler
  • Vor 20 Jahren – Die Tragödie von Lockerbieaustrianwings.info vom 22. Dezember 2008
  • El Megrahi – das Bauernopfer der Lockerbie-Tragödie?austrianwings.info vom 22. August 2009
  • Stichtag des Westdeutschen Rundfunks (WDR) am 21. Dezember 2008
  • Übersichtsseite der BBC zum Lockerbie-Prozess in Den Haag (in englischer Sprache)
  • Anklageschrift des Scottish Court Service zum Attentat auf Pan-Am-Flug 103 über Lockerbie (PDF-Datei, in englischer Sprache)
  • Urteil des Scottish Court Service zum Lockerbie-Anschlag (PDF-Datei, in englischer Sprache)
  • Ausführliche Website zum Lockerbie-Anschlag
  • The Lockerbie Case: Blog zu Lockerbie (in englischer Sprache)