Was hat es mit KONY 2012 auf sich?

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Seit einigen Tagen kursiert auf sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter den Link eines rund dreissigminütigen YouTube-Films namens KONY 2012. Manch einer wird sich gefragt haben, was das soll. Das virale Video stammt von der Organisation Invisible Children und hat das Ziel, die institutionelle Kampagne Stop Kony zu bewerben, welche wiederum dafür steht, den ugandischen Kriegsverbrecher Joseph Kony weltberühmt zu machen, um dessen Verurteilung noch in diesem Jahr zu erreichen. Doch nun wird Kritik an der Organisation laut, sie sei zu wenig transparent.

Den Gefühlsnerv des Zuschauers treffen
Das vom US-amerikanischen Filmemacher Jason Russell gedrehte halbstündige Video handelt vom kleinen Jacob, der erzählt, wie er der Ermordung seines Bruders durch Schergen des ugandischen Rebellenführers Joseph Kony beiwohnen musste. Der Film zielt ganz klar auf die Gefühle des Betrachters an, um das Interesse an der ganzen Angelegenheit zu entfachen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich der Link zum Video auf den Plattformen YouTube oder Vimeo, vor allem via Facebook oder Twitter wurde dieser weit verbreitet – vielfach mit der Aufforderung, das Dokument einfach zu teilen. Wenn so viele Freunde ein Video teilen, dann erweckt es auch die eigene Aufmerksamkeit – daraufhin zielt die US-Organisation ab. Mit Erfolg: Waren es Mittwochabend noch sieben Millionen Klicks auf YouTube, sind es rund 24 Stunden später bereits deren 37 Millionen. Selbstverständlich dürfen auch eine Handvoll Prominente wie Stephen Fry oder Rihanna nicht fehlen, welche die Kampagne unterstützen.
Ab dem 20. April soll die Stop Kony-Aktion auch auf die reale Welt übergreifen: In zahlreichen Städten der Erde sollen Werbeplakate für die Organisation aufgehängt werden.

Wer ist Joseph Kony?
Der 1961 geborene Kony ist der Anführer der ugandischen Rebellentruppe Lord’s Resistance Army, welche der ugandischen Regierung den Krieg erklärt hat. Sie will an die Macht, um dem Staat eine theokratische Herrschaft aufzusetzen, basierend auf den zehn Geboten. Nebst Uganda terrorisiert die LRA unter anderem auch im Südsudan, der Zentralafrikanischen Republik oder der Republik Kongo. Zudem ist bewiesen, dass die LRA rund 66’000 Kinder entführt hat, um sie zu Kindersoldaten oder Sexsklaven auszubilden. Seiner Ansicht nach wurde Kony vom Heiligen Geist höchstpersönlich beauftragt, die LRA zu gründen. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag/NL nahm 2004 Ermittlungen gegen den Rebellenführer auf, nun soll er unter Anklage gestellt werden. Insgesamt werden ihm 33 Anklagepunkte in Bezug auf Kriegsverbrechen und Gewalt beziehungsweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Ein Jahr später wurde der offizielle Haftbefehl von Den Haag gegen den Völkermörder vorgelegt. 2009 kündigte US-Präsident Barack Obama an, Soldaten nach Uganda zur Unterstützung im Kampf gegen Kony zu entsenden, zudem wurden vom US-Kongress zwei Millionen US-Dollar für das Vorhaben bereitgestellt. Heute befindet sich Kony weiterhin auf der Flucht, das Ziel von Invisible Children ist es, den Rebellenführer per Ende 2012 hinter Gitter zu bringen.

Heftige Kritik an Invisible Children
Bereits unmittelbar nach der Veröffentlichung des Films kam von diversen Seiten, so von Bloggern, heftige Kritik an der Organisation auf. Diese zielt jedoch auf die Vorgehensweise und nicht gegen das Ziel, den Kriegsverbrecher ein für alle Mal ins Kittchen zu werfen. So wird Invisible Children mangelnde Transparenz in Bezug auf Spendengelder vorgeworfen. So sollen von den eingereichten Spenden gerade mal ein Drittel der eingenommenen 31 Millionen US-Dollar in Uganda ankommen, der Rest würde für organisatorische und publistikbezogene Mittel verwendet, so um weitere Filme zu produzieren.
Des Weiteren wird kritisiert, dass die Organisation so indirekt militärische Aktionen unterstützt, was von den Verantwortlichen auch nicht geleugnet wurden: Für Kontroversen sorgten Fotoaufnahmen, auf denen unter anderem Russell mit Waffen des ugandischen Militärs posierte. Die Angelegenheit sei auch weitaus komplexer, als sich dies Invisible Children vorstellt, zudem sei die Kampagne sehr einseitig gehalten – es wird relativ leicht in Gut und Böse unterteilt, laut gewissen Kritikern gar nach dem Schema Gut = Weiss und Böse = Schwarz. Im Film gehe es ausschliesslich darum, dass Weisse Afrika retten, der klischeehaft als zurückgebliebener Kontinent voller Hungersnöte, Gewalt und Vergewaltigungen dargestellt wird, der auf die Hilfe von Weissen angewiesen ist.
Die Sache ist bei Weitem nicht so einfach, denn auch andere beteiligte Konfliktparteien wie die Sudanesische Volksbefreiungsarmee (SPLM) schrecken vor Kriegsgräuel nicht zurück – die SPLM ging über Leichen, um für den Südsudan die 2011 erfolgte Unabhängigkeit vom Sudan zu erlangen und machte aus diesem neuen Land quasi einen Einparteienstaat. Sie ist weiterhin im Sudan als Oppositionspartei tätig, um mithilfe von bewaffneten Konflikten die Unabhängigkeit der Provinzen Dschanub Kurdufan und An-Nil al-azraq zu erlangen, da diese an der sudanesisch-südsudanesischen Grenze liegen. Auch das ugandische Militär begeht Verbrechen, wie sie Kony vorgeworfen werden: Vergewaltigungen durch Soldaten seien keine Seltenheit. Zwar setzte unter der Regierung des seit 1986 amtierenden Präsidenten Yoweri Kaguta Museven wirtschaftliche Stabilität ein, dennoch sind seine Amtszeiten ebenfalls von Menschenrechtsverletzungen gezeichnet. Den Zuschauern des Films sei in keiner Weise bewusst, dass sie bei einem allfälligen Eingehen auf die Methoden der Organisation solche Vorfälle indirekt unterstützen werden.
Auf bereits im Krisengebiet tätigen Organisationen wird vom Film laut den Kritikern ebenfalls nicht eingegangen.
Invisible Children hat zu der zahlreichen Kritik Stellung genommen. So sei der geringe Anteil an direkten Spendengeldern zu rechtfertigen, da sich die Organisation als Ziel gesetzt habe, mithilfe von multimedialen Produkten wie Videos auf die Krisen aufmerksam zu machen und dies auch das eigentliche Kerngeschäft darstelle.

Mein Kommentar
Zunächst eine Vorbemerkung: Die folgenden Zeilen stehen unter dem in der Schweiz herrschenden Gesetz der freien Meinungsäusserung und können daher nicht juristisch belangt werden. Des Weiteren behalte ich mir das Recht vor, keine Gegendarstellung zu veröffentlichen.

Auch ich möchte die Notwendigkeit des Ziels keineswegs in Frage stellen. Jeder Kriegsverbrecher soll vor Gericht gestellt werden, dafür hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag ja das Internationale Kriegsverbrechertribunal, dass einige Zeit unter dem Vorsitz der Schweizerin (und Absolventin des Theresianums Ingenbohl/SZ) Carla del Ponte stand, ins Leben gerufen. Del Ponte war beispielsweise als Chefanklägerin für die Kriegsverbrechen im Ehemaligen Jugoslawien oder in Ruanda tätig. Sie brachte unter anderem Slobodan Milosevic vor Gericht, jedoch konnte gegen ihn kein Urteil ausgesprochen werden, da er während des Prozesses verstarb. Allgemein stand der Prozess gegen die Verbrechen in den Balkankriegen unter keinem guten Stern, trotz mehrjährigen internationalen Haftbefehlen gingen der Justiz Verbrecher wie Radko Mladic sehr spät ins Netz. Und genau so ein Misserfolg soll im Falle Joseph Konys auf keinen Fall mehr passieren.
Ich teile jedoch die Einschätzung der Kritiker. Eine Organisation, die sich selbst als karitativ bezeichnet, soll nicht die Mehrheit der Spendengelder für eigene Zwecke missbrauchen. Aus demselben Grund sind für mich auch Organisationen wie Greenpeace oder Amnesty International unten durch, auch wenn ich ihre Anliegen voll und ganz teile. Invisible Children verhält sich meiner Meinung nach manipulativ, nur mit gefühlsstarken Bildern können die Menschen eingenommen werden. Etliche Male wurde der Film in sozialen Netzwerken geteilt, doch wie viele haben in der Angelegenheit recherchiert oder sich Gedanken darüber gemacht, dass auch die anderen Seiten keine reinen Westen aufweisen können? Die ganze Kontroverse verleiht der Kampagne weiterhin Aufwind, was man ihr zu Gute halten muss, ist der Fakt, dass sie den bis vor kurzem ausserhalb Ugandas beinahe unbekannten Joseph Kony ins Bewusstsein der weltweiten Gesellschaft gerückt hat.
Was mir auch missfällt ist die Tatsache, dass Invisible Children das ugandische Militär unterstützt. Wenn man schon den Frieden propagiert, dann soll man dies auch ohne Waffengewalt durchziehen. Vor allem wenn besagte Armee auch nicht frei von Schandtaten ist.
Das kritisierte Image, dass sich Afrika nicht selbst helfen kann, haben wir beziehungsweise hat der Kontinent auch den Medien in der westlichen Welt zu verdanken. Die einzigen Nachrichten, die wir aus Afrika vernehmen, sind Hungersnöte, Bürgerkriege, Korruption und Gewalttaten. Leider ist es so, dass viele afrikanische Staaten einen diabolischen Herrscher als ihren Präsidenten wissen. Doch Proteste wie in Tunesien, Ägypten oder Libyen haben gezeigt, dass das Volk doch eine Stimme hat. Aber auch ach so fortgeschrittene Staaten wie die europäischen haben interne Probleme – man denke nur an die Neonazi-Morde in Deutschland (Jeder, der sie Döner-Morde nennt, sollte 1000 kräftige Tritte in die Eier bekommen!) oder die schon einige Jahre zurückliegenden Banlieue-Proteste in Frankreich. Doch diese werden gerne vertuscht, man redet lieber von den andern.

Links

  • Englischer Blogartikel über die klischeehafte Darstellung Afrikas in KONY 2012 (englischsprachig)
  • Kritischer Blogartikel eines Soziologie- und Politikstudenten in Bezug auf die Kampagne (englischsprachig)
  • Offizielle Webseite des Projekts (englischsprachig)

  • KONY 2012 auf YouTube

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