Im Hintergrund des heutigen Streiks bei der Deutschen Bahn hat Handelsblatt Online-Chefredakteur Oliver Stock in einem 99 Sekunden langen Beitrag den Beruf des Lokführers mit ziemlich wenig Respekt gewürdigt, wenn nicht gar mit Füssen getreten. So sei die mit dem Streik der GDL geforderte Lohnerhöhung von 5 Prozent gegenüber den heutigen 3000 Euro brutto pro Monat eine anspruchsvolle Forderung. Dieses Video ist ein neuer trauriger Höhepunkt in der Tatsache, dass Angestellte von Dienstleistungsbetrieben nicht mehr als Personen respektiert werden, sondern als Fussabtreter hergegeben werden und stets den Beschimpfungen von Gästen ausgesetzt sind.
Ein neuer Tiefpunkt der Holtzbrinck’schen Medienkonzerne
Das Handelsblatt hat eine bewegte Geschichte. Ursprünglich Bestandteil der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck, ist sie seit 2009 Teil der Dieter von Holtzbrinck Medien, nachdem eben dieser Dieter von Holtzbrinck seinem Halbbruder Stefan, welcher die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck besitzt, wichtige Anteile nahezu aller bedeutenden Printblätter des Konzerns abgeluchst hat. Ausgenommen von der Zeit produzieren die Holtzbrinck-Konzerne ohnehin publizistischen Wildwuchs. Eines dieser Exempel ist das Handelsblatt, das sich schön mit .com-Domain wichtig nimmt und schön brav mit dem Slogan Substanz entscheidet wirbt. Ein typisches Beispiel der selbstherrlichen Wirtschaftswelt, welche nur Geld im Kopf hat und jeden Bonus abkassierenden Manager als wichtigste Person der Welt darstellt, während infrastrukturielle Berufe als minderwertig dargestellt werden. Wie eben in diesem Fall der Lokomotivführer.
Lokführer, zeigt euch! als Stein des Anstosses
Seit heute Mittwoch, dem 15. Oktober 2014 umd 14:00 Uhr streiken die Lokomotivführer der Deutschen Bahn im Fern-, Nah- und Güterverkehr. Aufgerufen zum Streik hatte die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Die GDL fordert eine Lohnerhöhung von 5 Prozent gegenüber den heute üblichen 3000 Euro brutto monatlich, zudem eine Eingrenzung der Arbeitszeit auf 39 Stunden die Woche.
Oliver Stock, Chefredakteur des Handelsblatts Online nimmt in dem Handelsblatt in 99 Sekunden-Videoblog Stellung zum Beruf des Lokführers und bezeichnet ihn als eine unsichtbare Berufsgattung, die man durch eine Maschine ersetzen könne, ohne dass der Fahrgast etwas merken würde. Wer zudem der Meinung ist, dass die einzige Herausforderung des Lokführers darin bestehe, während der Fahrt nicht einzuschlafen, dem sollten Kommunikationsmittel wie das Internet entzogen werden.
Der Kommentar von Oliver Stock in Handelsblatt in 99 Sekunden
Der fehlende Respekt gegenüber infrastrukturiellen Berufen
Solche abschätzigen Äusserungen gegenüber Berufen, welche das tägliche Leben ermöglichen, sind nicht neu. Vor allem wenn sie von einem so genannten Journalisten kommen, einer Berufsbezeichnung, deren Weitläufigkeit seinesgleichen sucht. Egal ob er bei der NZZ oder bei der Bild arbeitet, jeder Schreiberling darf sich Journalist schimpfen, ungeachtet der Qualität seines Geschreibsels. Und genau solch einer wagt es, über Berufe des täglichen Lebens herzuziehen. Hand aufs Herz: Wer von der Gesellschaft hat Respekt vor Sanitätern, Krankenschwestern, Detailhandelsangestellten, Lokomotivführer, Busfahrer oder Pöstler? Wohl kaum jemand, da deren Arbeit als selbstverständlich angesehen wird. Warum werden dann bonifressende Manager oder Sportler mit Millionensalären und Lob überhäuft, auch wenn ohne sie sich die Erde trotzdem weiterdrehen würde?
Eine Frechheit zudem zu sagen, dass 3000 Euro monatlich genügen würden für eine Tätigkeit, die jeder Hauptschüler erlernen kann. Derespektierlicher geht es wohl kaum. In der Schweiz sind umfangreiche Intelligenz- und psychologische Tauglichkeitstests vonnöten, ehe man mit der Ausbildung beginnen kann, so dass ein gewisses geistiges Niveau vorausgesetzt ist.
Nicht einschlafen als einzige Herausforderung?
Ebenfalls vergreift sich der per sofort unwiderruflich ungeschätzte Herr Stock auch in der Wortwahl, in dem er den Lokführern attestiert, dass die einzige Herausforderung während dem Ausüben das Verhindern des Einschlafens sei. Was ist mit schnellen Reaktionen bei unvorhergesehenen Hindernissen? Was ist mit dem Aufstarten von Zügen? Was ist mit der Präsenz in nächtlichen unbegleiteten Regionalzügen, vor allem am Wochenende mit all den teilweise aggressiven Betrunkenen, die dann wohl nicht gerade erfreut sind, aufgeweckt zu werden? Was ist mit dem Bewältigen von Schienensuiziden? Was ist mit der Verantwortung nicht nur für millionenteures Rollmaterial, sondern für das Leben hunderter Menschen? Bei einem Unfall ist er der unterste der Nahrungskette und muss – wie beispielsweise bei den Zugunglücken von Santiago de Compostela/ESP oder Granges-près-Marnand/VD – oftmals als Bauernopfer hinhalten, damit die heute leider sehr wirtschaftlich orientierten Geschäftsleitungen der Bahngesellschaften ihre Versäumnisse bei Infrastrukturen weiterhin unter den Teppich kehren können. Immerhin kann das Bahnpersonal dank ihren Interessenverbänden wie VSLF oder SEV trotzdem Rechtsbeistand beiziehen, wie zum beispiel der Anwalt der ersten Stunde des VSLF mit der CAP-Rechtsschutzversicherung.
Video der SBB über den Lokführerberuf:
Mangelnder Respekt gegenüber Angestellten von Dienstleistungsbetrieben
Manche Gäste nehmen den Begriff Der Kunde ist König extrem wortwörtlich. Man erwartet vom Personal solcher Dienstleistungsbetriebe beinahe das Auslegen eines roten Teppichs. Danke sagen für die Arbeit des Personals? Fehlanzeige! Nein, die Mitarbeitenden von solchen Betrieben werden oftmals beschimpft und für alles verantwortlich gemacht. Ist der Zug vier Minuten zu spät, ertönt eine Schimpftirade als hätte man das Haus des Fahrgastes niedergebrannt. In der Schweiz ist man diesbezüglich zu sehr verwöhnt, im Ausland sind die Verspätungen viel grösser.
Respekt und Anstand? Etwa so vorhanden wie Schweizer auf dem Jungfraujoch. Doch wehe das Personal wehrt sich? Bei Kundenbeschwerden wird es von der Geschäftsleitung nicht gedeckt. Ist ja auch klar, denn Kunden geben Geld, Personal kostet Geld.