Schiesserei in Daillon/VS: Nun wird die Waffenfrage auch in der Schweiz aufgeworfen

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Unlängst sorgte ein Amoklauf an einer Schule im US-amerikanischen Städtchen Newton für Diskussionen über das liberale Waffenrecht in den USA, woraufhin sich Präsident Barack Obama zum Handeln entschloss. Nun sorgt eine Schiesserei im Kanton Wallis dafür, dass in einem weiteren Land mit liberalen Waffengesetzen über diese diskutiert wird: Die Schweiz. Nun werden auch hierzulande Reaktionen erwartet.

Wie gelangte der Schütze an eine Waffe?

Beim Ereignis in Newtown, bei dem an einer Primarschule 26 Personen von einem Amokläufer erschossen wurden, ehe er sich selbst richtete, hatte der Täter die Waffen aus dem Fundus seiner Mutter, die er vor der Tat in ihrem Haus erschossen hatte: Sie war eine Waffennärrin und verfügte dementsprechend über eine grosse Privatsammlung.
Jedoch wie gelangte der Mann, welcher am 2. Januar 2012 gegen 21 Uhr abends im zur Gemeinde Conthey/VS gehörenden Weiler Daillon/VS nahe Sitten zunächst aus seinem Haus und später auf der Strasse auf Passanten schoss, drei von ihnen tötete und erst durch einen Brustschuss durch die Polizei gestoppt werden konnte, an seine Waffe, zumal ein Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik bereits Fakt ist?


Beitrag der SRF Tagesschau am Mittag von Schweizer Radio und Fernsehen vom 3. Januar 2012 über die Schiesserei in Daillon.


Beitrag von Echo der Zeit von Radio SRF1 und Radio SRF4 News über die Schiesserei in Daillon
Auch wenn es gewisse Personen nicht wahrhaben wollen: In der Schweiz ist es sehr leicht, an eine manuell gesteuerte Waffe wie Karabiner zu gelangen, da ist man innerhalb der helvetischen Grenzen keinen Deut besser als die USA. Hüben wie drüben nützen psychiatrische Gutachten und sonstiger juristischer Krautsalat nichts – wer eine Waffe will, der hat sie bald in den Händen. Strenge Regeln mit Registrationspflicht gelten erst seit 2008, zudem muss nur für halbautomatische und automatische Feuerwaffen ein Kaufantrag gestellt werden, alte Jagdflinten und Karabiner beispielsweise sind von diesem ausgenommen.

Ist die Armee das Heiligtum der Schweiz?

Eine von der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) lancierte Volksinitative zum Schutz vor Waffengewalt, welche besagte, dass Armeewaffen nicht mehr zu Hause der Dienstpflichtigen, sondern im Zeughaus gelagert werden, wurde im Februar 2010 vom Schweizer Stimmvolk bachab geschickt. Die Stimmberechtigten liessen sich von Argumenten blenden, dass dadurch die Armee und die Verteidigung geschwächt werde, da die Waffe somit nicht mehr griffbereit wäre. Ob nach der Schiesserei in Daillon eine Kehrtwende einsetzt, ist fraglich, bleibt aber zu hoffen.
Mit dem Satz „Die beste Armee der Welt“, der Ueli Maurer anlässlich seines Amtsantrittes als Bundesrat und gleichzeitig Departementsvorsteher des VBS geäussert wurde, war es nun definitiv: Aus irgend einem Grund hat das Militär einen gewissen Bonus: 5.5 Milliarden Schweizer Franken werden jährlich für diesen überdimensionierten Kindergarten verpulvert, ja gar noch für den lieben Ueli neue Kampfjets angeschafft, während im Bildungswesen alles zusammengekürzt wird. Cédric Wermuth wird für seine Äusserung, ein Sturmgewehr sei nur ein Phallussymbol, heftig kritisiert – dabei ist die Schweiz das einzige Land, in dem Armeeangehörige mit dem Sturmgewehr frei herumlaufen dürfen. Und das Wermuth als Nicht-Militärdienstleistender keine Ahnung hat, stimmt freilich nicht: Die leider noch weit verbreitete Ansicht, dass man nur im Militär zum Mann wird, war ihm wohl genug zu Ohren gekommen – andere Militärdienstuntaugliche können davon ein Liedchen singen. Vielleicht wäre es mal an der Zeit, diese Sichtweise aus den Köpfen der Schweizerinnen und Schweizer zu hämmern.

Verschärfung der Waffengesetze auch in der Schweiz

Nach dem Dreifachmord im Wallis hat sich noch keiner der sieben Bundesräte dazu geäussert, auch wenn die Diskussion über die Schweizer Waffengesetze wieder aufbrandet.
Zwischen zwei und dreieinhalb Millionen Feuerwaffen sind in der Schweiz in freiem Umlauf, dies bei einer Bevölkerungszahl von acht Millionen, zuzüglich einer Dunkelziffer, da die Registrierungspflicht erst seit 2008 existiert – angenommen werden bis zu 4.5 Millionen.
Hinter den USA (88.8 Waffen pro 100 Einwohner), Serbien (58.2 auf 100 Inhabitanten) und Jemen (54.8 Waffen pro 100 Bewohner) verfügt die Schweiz mit 45.7 Waffen pro 100 Bürger über die viertmeisten Waffen pro Einwohner weltweit. Mit Berücksichtigung der Dunkelziffer steigt diese Quote auf 56.3 – womit gar Platz 3 resultieren würde. Auf die Haushalte (knapp 3.5 Millionen) ergibt das eine Quote zwischen 0.57 und 1.28 Waffen pro Haushalt.
Die Anzahl Gewaltverbrechen, bei denen Waffen genutzt werden, ist zwar tief, könnte aber mit strengeren Waffengesetzen weiter gesenkt werden.

Die Schweizer Rüstungsindustrie

Die Schweiz verfügte im Laufe der Zeit über eine hervorragende Rüstungsindustrie. Heute wird sie vor allem durch den bundeseigenen Rüstungs-, Luft- und Raumfahrtkonzern RUAG, welcher aus den bundeseigenen Betrieben hervorgegangen ist, dominiert. Heute verfügt die RUAG über die Geschäftsbereiche RUAG Aerospace (Luft- und Raumfahrt) und RUAG Defence (Rüstung). In letzterer Division sind unter anderem die früheren Sparten RUAG Systems und RUAG Electronics aufgegangen, zudem sind auch die Munitionsfabriken der RUAG Defence zugeordnet.
In der früheren Zeit waren vor allem der auch als Eisenbahnbauer und heute für die Herstellung von Verpackungen bekannte SIG-Konzern mit Sitz in Neuhausen/SH und Oerlikon-Bührle von Bedeutung. Als letztes Relikt der SIG sind noch die heutigen SIG Sauer-Pistolen bekannt, auch wenn das Waffengeschäft der SIG längst in die J.P. Sauer & Sohn GmbH überführt wurde, welche ab 1970 das 1860 aufgebaute Waffengeschäft der SIG erweitert hatte. Von dieser Sparte trennte sich SIG im Jahre 2000. Die SIG Sauer-Pistolen erfreuen sich vor allem in der Sicherheitsbranche, beispielsweise bei Polizei, Grenzwachten und Sicherheitsdiensten grosse Beliebtheit.
Die Spuren von Oerlikon-Bührle sind heute vor allem in den Konzernen OC Oerlikon, Rheinmetall und RUAG zu finden. Während letztere sich den Geschäftsbereich Oerlikon Aerospace einverleibt hatte, gehört das Rüstungsgeschäft Oerlikon Contraves heute der deutschen Rheinmetall, welche heute noch als Rheinmetall Defence an der Birchstrasse in Zürich-Oerlikon produziert.

Waffengewalt in der Schweiz

Bereits vor Daillon gab es diverse Tötungsdelikte mit Waffen in der Schweiz, das wohl verheerendste war das Attentat von Zug.
Weitere Tötungsdelikte wie der Amoklauf am Stadtzürcher Bauamt oder das Delikt von Seewen/SO werden im Cabo Ruivo-Artikel Die erschreckendsten Tötungsdelikte der Schweiz näher erläutert.

Siehe auch

  • Schärfere Waffengesetze: Wie verhindert man Ereignisse wie Newtown?Cabo Ruivo vom 15. Dezember 2012
  • Geiselnahme von München: Als sich ein dunkler Schatten über die Olympischen Spiele legteCabo Ruivo vom 5. September 2012
  • Die erschreckendsten Tötungsdelikte der SchweizCabo Ruivo vom 8. April 2012
  • Attentat von Zug: Zehn Jahre ist es her…Cabo Ruivo vom 27. September 2012
  • Hört endlich mit diesem Geheule um die Armee auf!Cabo Ruivo vom 18. September 2012
  • Links

  • Dossier Dreifachmord Wallis von tagesanzeiger.ch/Newsnet
  • Daillon – eine zerstörte Idylle – Artikel der NZZ Online
  • 30-jähriger erschiesst drei Menschen -Artikel der Süddeutschen Zeitung Online
  • Infografik der Süddeutschen Zeitung Online zur Waffengewalt in aller Welt
  • Die Schweiz: Kleines Land mit enorm vielen Waffen – Artikel von FOCUS Online
  • Amokläufer in stillen Gassen – Artikel der Frankfurter Allgemeine Zeitung Online
  • Artikel der British Broadcast Corporation (BBC Online) – in englischer Sprache
  • Artikel der Huffington Post – in englischer Sprache
  • Webseite der GSoA