Heute um 20:45 Uhr wird in der Münchner Allianz-Arena der diesjährige Champions League-Final angepfiffen. Auf dem Programm steht eine Affiche, mit der anfangs Saison wohl niemand gerechnet hatte: Bayern München – FC Chelsea. Schon alleine der Umstand, als erste Equipe im eigenen Stadion zum Final antreten zu können, macht Bayern zum fast sicheren Sieger. Doch wie heisst es so schön: Das Spiel muss noch gespielt werden.
Wer hätte diesen Final in Betracht gezogen?
Wohl kaum einer hätte auf die heutige Begegnung gewettet, schon gar nicht nach den Hinspielen im Achtelfinale: Bayern München verlor auswärts beim FC Basel mit 0:1, während Chelsea beim SSC Napoli mit 1:3 unter die Räder kam. Auch nachdem die beiden Equipen ihre Fauxpas mit 7:0 beziehungsweise 4:1 korrigierten, sahen viele Experten den FC Barcelona oder Real Madrid in der besten Aussicht, die Trophäe zu gewinnen. Der dritte Favorit im Bunde, Manchester United, war bereits in der Gruppenphase an Benfica Lissabon und an Basel gescheitert.
Als sich dann sowohl Barcelona, als auch Real für die Halbfinals qualifizierten, schien der Weg frei für einen Clásico im Finale, denn die beiden Gegner, namentlich Bayern und Chelsea, wurden schwächer eingeschätzt. Diese Sicherheit nahm selbst dann nicht ab, als sowohl Barcelona, als auch Real in ihren Hinspielen unterlagen: Barcelona verlor 0:1 an der Londoner Stamford Bridge, Real mit 1:2 bei Bayern. Doch die Rückspiele leiteten keine Kehrtwende ein – trotz spielerischer und numerischer Überlegenheit (Terry leistete sich eine Tätlichkeit) fand Barcelona gegen mauernde Chelsea-Akteure kein Rezept und kam über ein 2:2 nicht heraus. Einen Tag später sah es im Estadio Santiago Bernabeu nach einem Doppelschlag des exzentrischen Stürmerstars von Real Madrid, Cristiano Ronaldo, verdächtig nach einer Finalbegegnung Real – Chelsea aus, doch Arjen Robben stiess die Finaltüre mit seinem Tore wieder weit auf, das Resultat änderte sich während der regulären Spielzeit und auch während der dreissigminütigen Verlängerung nicht mehr, weswegen ein Penaltyschiessen über die Finalteilnahme entscheiden musste. Hier behielt Bayern die bessern Nerven: Torhüter Manuel Neuer parierte die Elfmeter von Cristiano Ronaldo und Kaká, während Real-Verteidiger Sergio Ramos den Ball in typischer Uli-Hoeness-Manier in den Madrider Nachthimmel beförderte – nur Xabi Alonso konnte das Leder versenken. Im Gegenzug sahen bei Bayern zwar Lahm und Kroos ihre Schüsse von Iker Casillas abgewehrt, jedoch trafen Alaba, Gomez und Schweinsteiger. Bayern steht insgesamt gesehen verdient im Finale, da sie überraschend spielstärker als die Madrilenen waren, auch wenn diese für weniger Fouls verantwortlich waren.
Roberto di Matteo auf dem Höhepunkt der Trainerkarriere?
Nun zogen Bayern und Chelsea ins Finale ein. Ein ähnlicher Unmut wie zwei Jahre zuvor wurde aufgewirbelt, als sich in Madrid Bayern und Inter gegenüberstanden. Für die Bayern ist es insbesondere ein spezieller Finaleinzug, denn als erste Mannschaft seit der Einführung der Champions League 1992/1993 können sie das Finale im eigenen Stadion bestreiten – ein Riesenvorteil, zumal sie noch spielerisch stärker als Chelsea ist, ungeachtet der vielen Gesperrten auf beiden Seiten. Doch der in Schaffhausen geborene Italo-Schweizer Roberto di Matteo hatte seit seiner Einsetzung als Interimstrainer am 4. März 2012 Chelsea wieder auf Vordermann gebracht und im Halbfinale bekanntlich den FC Barcelona ausgeschaltet. Ob es di Matteo wieder gelingt, für Sternstunden im englischen Fussball zu sorgen? 2008 ging der letzte CL-Kübel nach England, als sich Manchester United im innerenglischen Finale gegen Chelsea durchsetzte. Zudem gilt es für die Londoner dieses Jahr die Kohlen für die Premier League aus dem Feuer zu holen – United und Manchester City scheiterten kläglich in der Gruppenphase, während Arsenal im Achtelfinale nach einer 0:4-Niederlage und einem 3:0-Sieg gegen die AC Milan den Kürzeren zog.
Doch Bayern wird vor dem eigenen Publikum gewaltig etwas dagegen haben: Mit Gomez haben sie nebst Lionel Messi und Cristiano Ronaldo einer der drei treffsichersten Stürmer Europas im Kader, der ununterbrochen für Gefahr im gegnerischen Strafraum sorgt. Auch das Mittelfeld um Schweinsteiger, Robben und Ribéry ist wohl demjenigen von Chelsea trotz Frank Lampard überlegen, zudem fehlt bei den Londoner Ramirez wegen einer Gelbsperre. Nur im Tor ist Petr Cech ein wenig stärker einzuschätzen als Manuel Neuer, auch wenn dieser im Halbfinale als Penaltyheld zu glänzen vermochte.
Bei den Trainern besitzt Jupp Heynckes zweifelsohne die grössere Erfahrung, der sogar mal die CL-Trophäe in die Höhe stemmen konnte, 1998 gewann er den Titel mit Real Madrid, sah sich aber trotzdem wegen einer enttäuschenden Meisterschaft wenige Tage später auf die Strasse gesetzt. Auf der anderen Seite könnte Roberto di Matteo, dessen eher bescheidene Referenzen im Lebenslauf die Milton Keynes Downs und West Bromwich Albion umfassen, für den ersten Höhepunkt seiner Karriere sorgen, zumal er auch für eine Festanstellung bei Chelsea im Gespräch steht. Die Pläne Abramowitschs, José Mourinho zurück an die Stamford Bridge zu holen, haben sich wohl zerschlagen, da dieser nach der Halbfinalniederlage geschworen hatte, nächste Saison mit den Madrilenen zurückzuschlagen. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger André Villas-Boas vermochte di Matteo auch die älteren Spieler auf seine Seite zu ziehen, mit einigen von ihnen stand er noch bei den Londonern im Kader. Vielleicht schafft es mal ein ehemaliger Experte beim Schweizer Fernsehen doch auf die richtig grosse Fussballbühne und Gilbert Gress kann aufhören, mit den glorreichen Zeiten bei Xamax und Racing Strasbourg zu prahlen. Di Matteo, der seines Zeichens gemeinsam mit dem heutigen deutschen Bundestrainer Joachim Löw unter dem designierten FCZ-Coach Rolf Fringer beim FC Schaffhausen seine Weltkarriere startete, steht nun heute Abend auf dem Höhepunkt dieser. Eine Sternstunde für Di Matteo oder ein zweiter CL-Titel für Heynckes?