Im Fluglärmstreit um den Zürcher Flughafen zwischen der Schweiz und Deutschland haben sich nun sieben Kantone eingeschaltet. Sie unterzeichneten in Kloten/ZH die Erklärung von Kloten, welche eine für beide Seiten faire Lösung im Streit einsetzt, nachdem die Schweizer Verkehrsministerin Doris Leuthard und ihr deutscher Amtskollege Peter Ramsauer am Rande des WEF in Davos Absichten gehegt haben, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Kritik an der Stuttgarter Erklärung
Die sieben Anrainerkantone Zürich, Zug, Schaffhausen, Schwyz, Thurgau, Aargau und St. Gallen prangern in ihrem Schreiben vor allem die von süddeutscher Seite ausgearbeitete Stuttgarter Erklärung an, die gemäss dem deutschen Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) die Grundlage für die neuen Verhandlungen mit der Schweiz dienen soll. Diese besagt die Beibehaltung der Sperrzeiten und das Verlangen nach weiteren Reduktionen von Nordanflügen oder gar den Verzicht auf diese. Für die Schweizer Kantone seien das einseitige Verordnungen, zudem sei es erwiesen, dass das Bundesland Baden-Württemberg zu keinerlei Kompromissen bereit sei.
In der Stuttgarter Erklärung seien beispielsweise die aufgeführten Lärmbelastungen vor allem in der Region Waldshut-Tiengen massiv höher angegeben als die Realität dies sieht. Am 2. März haben in Rüschlikon/ZH die Verhandlungen für einen neuen Staatsvertrag begonnen, welcher im Sommer unterschriftsreif sein sollte. Der Staatsvertrag konzentriert sich vor allem auf die Anzahl Flüge über Süddeutschland, aber auch auf die Regelung, dass die Schweizer Flugsicherung Skyguide wegen der Nähe des Flughafens zur Grenze auch den süddeutschen Luftraum kontrollieren darf. Entsprechende Vorstösse eines Staatsvertrages wurden 2001 vom damaligen Schweizer Verkehrsminister Moritz Leuenberger (SP) und seinem deutschen Pendant Kurt Bodewig (SPD) eingeleitet, jedoch wurde der Vertrag vom Ständerat auf unbestimmte Zeit sistiert, da laut dem Vertrag der gesamte Luftverkehr ausschliesslich über der Schweiz abgewickelt werden sollte. Für Irritationen sorgen auch die Skyduide-Aktivitäten in Süddeutschland, da diese nicht vertraglich festgelegt wurden, sondern auf Absprachen basieren. Dieser Fakt hätte im Vertrag ebenfalls festgelegt werden sollen, was wenige Monate später Konsequenzen mit sich hätte tragen können: Im Juli 2002 kollidierten über dem süddeutschen Owingen kollidierten eine Frachtmaschine der DHL und ein Passagierflugzeug der Bashkirian Airlines, was 71 Menschen das Leben kostete. Das Unglück war auf ein Fehlverhalten eines Skyguide-Lotsen zurückzuführen, welcher 2004 später vom Vater beziehungsweise Ehemann dreier der Opfer vor seinem Haus in Kloten ermordet wurde. Nach seiner Haftentlassung 2007 wurde dieser in seiner ossetischen Heimat vor allem von putin-treuen Organisationen als Held gefeiert.
Da die Ausübung von Skyguide über deutschem Raum nur auf Abmachungen basiert, hätte Deutschland genau genommen für die Flugzeugkollision belangt werden können, jedoch konzentrierten sich die Anschuldigungen von Beginn an auf Skyguide.
Komplexer Hintergrund
Der Fluglärmstreit basiert auf der Tatsache, dass sich der nordwestliche Zipfel des Flughafenareals von Zürich-Kloten gerade mal 15 Kilometer von der Grenze befindet. 1945 wurde der Entscheid gefällt, auf der bisherigen Moorlandschaft zwischen Zürich, Glattbrugg, Kloten und Winkel bei Bülach den neuen Schweizer Hauptflughafen zu errichten, nachdem der bisherige Flughafen Dübendorf, ebenfalls in der Zürcher Agglomeration gelegen, den Anforderungen nicht mehr genügte. Kloten setzte sich unter anderem gegen Projekte von Grossflughäfen im Hochmoor von Rothenthurm/SZ oder der Region Utzenstorf-Kirchberg-Koppigen/BE, der vor allem am Widerstand der Bauern scheiterte, durch. Letzterer wäre damals abgelegen von Hauptverkehrsachsen gelegen, heute führen jedoch sowohl die Autobahn A1 als auch die Schnellfahrstrecke Mattstetten-Rothrist der SBB unmittelbar am Rande des für den Flughafen vorgesehenen Areals vorbei, er wäre also unmittelbar an die wichtigste West-Ost-Achse angeschlossen gewesen, sowohl Bern als auch Zürich wären per Zug in weniger als einer Stunde erreichbar gewesen.
Der Fluglärmstreit entstand in den 1970er-Jahren, als am Flughafen Zürich die neue Piste 14/32 in Betrieb genommen wurde. Durch ihre Ausrichtung von 137 Grad sind landende Flugzeuge gezwungen, den Landkreis Waldshut und insbesondere die Gemeinde Hohentengen am Hochrhein zu überfliegen. Erste Vereinbarungen zwischen den Verkehrministerien Deutschlands und der Schweiz führte dazu, dass nebst der Landebahn 14 auch die ebenfalls aus Norden in Richtung Terminal führende Piste 16 genutzt werde, deren Landeanflüge aber ausschliesslich auf Schweizer Gebiet abgewickelt würden. Der deutsche Staat setzte der Schweiz ein Ultimatum, einen Staatsvertrag festzulegen, ansonsten würde man in Berlin einseite Verordungen erlassen, wie es aufgrund der Verschiebung des Ständerats nun auch gekommen ist. So muss sich der Flughafen Zürich-Kloten einem von deutscher Seite auferlegten Nachflugverbot ab 21 Uhr (an Feiertagen gar ab 20 Uhr) beugen. Während dieser Zeit werden Anflüge nur von Süden her über Schweizer Gebiet vorgenommen, was bei betroffenen Gemeinden ebenfalls nicht auf Wohlwollen stösst. Doch wer in der Nähe eins Flughafens wohnt, muss halt gewisse Risiken eingehen.
Nicht einfacher macht die Angelegenheit, dass die Deutschen weiterhin darauf beharren, grösseren Lärmbelastungen ausgesetzt zu sein, da 90% aller Landeanflüge über deutschem Staatsgebiet stattfinden, während sich die Schweizer auf Lärmgutachten berufen, welche besagen, dass in der Schweiz 210’000 Personen von erheblichem Fluglärm betroffen sind, während es in Deutschland gerade mal deren 750 sind.
Überraschenderweise haben Bundesrätin Doris Leuthard (CVP) und der deutsche Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) während des Weltwirtschaftsforums WEF in Davos Absichten geäussert, wieder Verhandlungen in Bezug auf einen Staatsvertrag aufnehmen zu wollen. Diese Verhandlungen begannen am 2. März in Rüschlikon.
Mein Kommentar
Für mich ist der Fluglärmstreit vielmehr eine Art Mobbing von deutscher Seite gegenüber der Schweiz als ein Verlangen, das eigene Volk zu schützen. Den Deutschen und insbesondere dem Bundesland Baden-Württemberg ist es wohl ein Dorn im Auge, dass zahlreiche Bürger aus dem Süddeutschen Raum den Flughafen Zürich als Abflugort nutzen statt den Stuttgarter Flughafen. Aus diesem Grund soll dieser ja im Zuge von Stuttgart 21 besser ins Bahnnetz eingebunden werden, der Flughafen Zürich ist beispielsweise heute direkt mit München, Lindau oder Konstanz umsteigefrei per Zug verbunden. Ehrlich gesagt ist es für mich ohnehin höchst fraglich, wozu ein Flughafen wie Stuttgart interkontinentale Verbindungen besitzen muss. Für Kurz- und Mittelstreckenflüge ist er schon vertretbar, aber sowohl der Flughafen Zürich als auch der Flughafen Frankfurt mit weitaus mehr Verbindungen sind von der schwäbischen Metropole doch in relativ kurzer Zeit zu erreichen.
Die Schweiz sollte sich der Klotener Erklärung getreu keineswegs auf einseitige Verordnungen Deutschlands einlassen, sondern auf ihr Recht pochen. Man soll sich von niemandem an der Nase herumführen lassen, schon gar nicht von einem Land, das trotz Vereinbarungen in Staatsverträgen (!) ihre NEAT-Zulaufstrecke von Karlsruhe nach Basel nicht fristgerecht zur Eröffnung des Gotthard-Basistunnels 2016 fertigstellen kann. Wieso hat sich der Finanzminister a. D. und designierte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück eigentlich noch nicht zu Wort gemeldet und gefordert, über Süddeutschland zum Landeanflug auf Zürich-Kloten ansetzende Maschinen abzuschiessen? Stimmt ja, eine Kavallerie verfügt ja über keine Flugabwehrkanonen.
Zudem gibt es einen schönen interessanten Fakt, den man nicht ausser Acht lassen darf: Vor kurzem wurde aus Kapazitätsgründen am Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt eine dritte Start- und Landebahn eingeweiht sowie die Nachtflugsperren verkürzt, ohne auf die teils heftigen Proteste der Anwohner einzugehen. Dasselbe in München, wo der 1992 im Erdinger Moos weitab der Innenstand eröffnete Franz-Josef-Strauss-Flughafen ebenfalls mit einer dritten Start- und Landebahn versehen werden sollte. Eine Volksabstimmung soll nach Einigung von CSU und SPD im Juni über die Bühne gehen, jedoch werden nur die Einwohner der Stadt München zur Urne gebeten, Erdinger und Freisinger, die unmittelbar den Lärmbelastungen ausgesetzt sind, bleiben aussen vor. In Berlin, wo bis Juni 2012 der Flughafen Berlin-Schönefeld zulasten des Flughafens Berlin-Tegel zum neuen Hauptstadtflughafen Berlin-Brandenburg International (BBI) ausgebaut wird, gehörten Umsiedelungen und Enteignungen zur Tagesordnung, ungeachtet der Proteste der Bürger. Warum werden im Inland die Bedürfnisse der Bürger in Sachen Fluglärm ignoriert, während man im Ausland bei Flughäfen wie Zürich oder auch Salzburg hart den Stempel aufdrückt und abstruse Forderungen stellt? Die Annahme, dass der Staat die Konkurrenz ausländischer Flughäfen fürchtet, liegt wohl nahe: So stammen beispielsweise ein Drittel der Fluggäste in Salzburg aus dem grenznahen deutschen Umland.
Diejenigen, die am lautesten protestieren (Deutsche und Schweizer sind damit gemeint), sind sicherlich die ersten, die bei einer Ferienreise das gute Flugangebot am Zürcher Flughafen nutzen und dann sicherlich während des Landeanflugs bei der Rückreise, stolz den Kindern das eigene Haus von oben zeigt.
Allerdings muss man auch die Schweizer Regierung kritisieren, da sie von vornherein ebenfalls nur ihre Eigeninteressen in den Vordergrund gerückt hat. Für eine für beide Seiten faire Einigung wären Kompromisse von beiden Seiten vonnöten. Also sollen die Landeanflüge gerecht über die Pisten 14 und 16 aufgeteilt werden – wer halt in der Nähe eines Flughafens wohnt, ist zwar näher bei ihm, muss dann halt aber auch mit etwaigen Lärmbelastungen rechnen. Im Gegensatz zu den Süddeutschen haben aber die Zürcher Lärmgeplagten noch weniger das Recht, sich aufzuregen, denn zur Zeit der Errichtung des Flughafens war das Areal wie bereits gesagt ein Moorfeld, Kloten beispielsweise ein Dorf mit 3000 Einwohner – heute sind es deren 18’000. Also war der Flughafen zuerst da. Man hat kein Recht, seine Häuser bis an den Pistenrand zu bauen und danach gegen den Lärm zu protestieren, denn man hat es schliesslich ja gewusst.
Links
Tagesschau des Schweizer Fernsehens vom 5. März 2012 zur Erklärung von Kloten
Bericht von 10vor10 über den Fakt, dass die deutsche Regierung Fluglärmproteste in den eigenen Landesflughäfen nicht interessieren
Schweiz aktuell stellt das Projekt Schweizerischer Zentralflughafen Utzenstorf im Rahmen einer historischen Serie vor
2 thoughts on “Kantone wollen faire Lösung im Fluglärmstreit”
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