Am 7. Januar 2015 überfielen drei schwer bewaffnete Männer mit mutmasslich islamistischem Hintergrund die Redaktion des französischen Satireblattes Charlie Hebdo – in der Vergangenheit oftmals mit Karikaturen mit Bezug auf den Islam oder den Propheten Mohammed aufgefallen – und töteten 12 Menschen. Der Anschlag kommt mitten in einer Zeit, wo Islamphobie zum Problem in der Gesellschaft wird – und wirkt wie Wasser auf die Mühlen solcher fremdenfeindlichen Bewegungen. Deshalb ist die westliche Gesellschaft zur Besinnung zu kommen, voreilige Schlüsse sollen vermieden werden.
Charlie Hebdo und der Islam
Die Rue Nicolas Appert im 11. Arrondissement von Paris, wenige hundert Meter nördlich der Plaçe de la Bastille gelegen. Eine normale Strasse in der französischen Hauptstadt Paris. Jedenfalls bis zum Vormittag des 7. Januar 2015, als zwei schwer bewaffnete Attentäter aus einem Auto aussteigen, die in der Hausnummer 10 befindliche Redaktion des Satireblattes Charlie Hebdo während der wöchentlichen Redaktionssitzung stürmen, 12 Menschen erschiessen, 20 weitere teilweise schwer verletzen und danach wieder in ihrem Auto flüchten. Auf ihrer Flucht durch Paris verletzten die beiden Attentäter sowie ein weitere Mittäter weitere Personen, so beispielsweise einen weiteren Polizisten am Boulevard Richard Lenoir.
Charlie Hebdo erregte in der Vergangenheit oftmals mit satirischen Zeichnungen in Bezug auf den Islam für Aufsehen, 2011 wurde die Redaktion gar Opfer eines Brandanschlages, zudem war das Blatt mehrere Male Konfliktpartei in juristischen Prozessen mit islamischen Verbänden. Auch die aktuellste Ausgabe ziert das Konterfei des Propheten Mohammed. Mohammed war es auch, der Charlie Hebdo erstmals der breiten Öffentlichkeit bekannt werden liess. Das Blatt druckte so beispielsweise die umstrittenen Karikaturen der dänischen konservativen Zeitung Jyllands-Posten nach, versehen mit eigenen Ergänzugenn.
Deswegen entstanden schnell Gerüchte, dass die Attentäter einen islamistischen Hintergrund aufwiesen. In Bezug auf die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) wurde Frankreich mehrmals als mögliches Ziel terroristischer Akte genannt, die Sicherheitsbereitschaft massiv erhöht. Aufgrund diverser Drohungen stand auch die Redaktion von Charlie Hebdo unter Polizeischutz, weswegen dem Attentat auch zwei Polizisten zum Opfer fielen.
Tagesschau Spezial von Schweizer Radio und Fernsehen vom 7. Januar 2015
Islamexperte Reinhard Schulze in der Tagesschau von Schweizer Radio und Fernsehen
Beitrag der Tagesschau von Schweizer Radio und Fernsehen vom 7. Januar 2015
Der Anschlag als Brandbeschleuniger für Bewegungen wie Pegida
In den letzten Jahren entstand – angereichert durch die Gräueltaten von Organisationen wie Al Kaida oder IS – eine immermehr fortschreitende Islamophobie in der westlichen Welt. Die Gesellschaft kann immer weniger zwischen normalen Muslimen und islamistischen Extremisten unterscheiden. In der Schweiz war das beispielsweise bei der vom Volk angenommenen Initiative zum Verbot des Baus von Minaretten im Herbst 2009 der Fall. In Deutschland finden seit geraumer Zeit wöchentlich Demonstrationen von Bewegungen wie Pegida oder ähnlichen statt, vermeintlich normale Bürger an der Seite von Hooligans oder Rechtsextremen. Die Städte setzten in den letzten Wochen immer mehr Zeichen gegen solche fremdenfeinlichen Bewegungen, so wurde vergangenen Montag der Kölner Dom während des Protestzuges in vollkommene Dunkelheit getaucht, Stadt und Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki ernteten grossen Beifall. Man glaubte genügend friedliebende und fremdenfreundliche Menschen auf der Welt zu wissen.
Bis zum 7. Januar 2015 und der grauenvollen Bluttat in der Rue Nicolas Appert. Jetzt droht das Ruder wieder umzuschlagen. Es werden wieder voreilige Schlüsse gezogen. Ist jetzt jeder Muslim ein Terrorist? Wird jetzt Ali von der Dönerbude urplötzlich als Al Kaida-Mitglied angesehen? Der Unterschied zwischen Extremist und normalem Konfessionsanhänger wird erneut nicht mehr wahrgenommen. Vielleicht sollte man sich die Frage stellen, dass manch Muslim solchen Taten ebenso wenig wohlgesonnen ist wie die westliche Welt, zumal er auch zu einem Opfer werden kann, da er unter dem Werk einiger weniger Wahnsinngen zu leiden hat. Deswegen haben sich zahlreiche Muslime von den Attentätern aufs Heftigste distanziert.
Meinungsfreiheit – mit Vorsicht zu geniessen?
Mit dem Pariser Attentat wurden gleich drei Begriffe mit Füssen getreten: Pressefreiheit, Satire und Meinungsfreiheit. Klar kann alles zu weit gehen, doch mindestens in Bezug auf Satire sollte man doch auch ein wenig über sich selbst lachen können.
Die Tagesschau von Schweizer Radio und Fernsehen über Mohammed-Karrikaturen und gewalttätige Antworten
Mit jedem geschriebenen oder gesagten Wort kann der Werkende Missgunst auf sich ziehen. Gegenteiliger Meinung ist sicherlich immer jemand. Doch sollen dem Schreiberling sehr wohl die möglichen Konsequenzen seiner Werke bewusst sein, seien sie in der Art von juristischen Auseinandersetzungen, aber auch Beleidungen und Drohungen und zu guter Letzt – wie im Fall von Charlie Hebdo – das Bezahlen des eigenen Lebens. Ist es das wirklich wert, nur um die Öffentlichkeit auf (angebliche) Wahrheiten hinzuweisen? Meinungs- und Pressefreiheit, immerhin zwei Säulen der Demokratie, scheint auch in der westlichen Welt spätestens seit dem Blutbad in der Rue Nicolas Appert nur noch auf dem Papier zu existieren.
Solidaritätsaktionen in Frankreich und aller Welt
Der Anschlag bestürzt die breite Masse. Es war ein Angriff auf Grundwerte der Demokratie, auf die westliche Welt. Die Folge waren Solidaritätsbekundungen mit den Opfern nicht nur in Frankreich, sondern auch in anderen Staaten.
In Anlehnung an das Wimmelbilderbuch Ou est Charlie? (die französische Version von Wo ist Walter?) kreierte der französische Musikjournalist Joachim Roncin das Logo Je suis Charlie, das nun als Plakat, Profilbild und in vielen weiteren Variationen in aller Welt geteilt wird.
Auch Charlie Hebdo bleibt bestehen: Diverse französische Medienhäuser sicherten ihre Unterstützung zu, die folgende Ausgabe vom 14. Januar 2015 wird mit einer Auflage von einer Million Exemplaren gedruckt, zuletzt erreichte das Blatt 60’000 Exemplare pro Woche.
Frankreich als heisses Pflaster in Bezug auf den Islam
Unter anderem aufgrund der Historie als Kolonialmacht ist Frankreich immer ein Konfliktherd mit Einwanderern vor allem aus den ehemaligen französischen Überseegebieten gewesen. Insbesondere in den Vorstädten der Metropolen wie Paris, Lyon oder Marseille entbrennen immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen. Je nach Quartier selbst innerhalb der Stadtgrenzen ist die Kriminalität immens hoch. Als Tourist ein falscher Schritt – und schon sitzt man in der Falle. Dies geschieht selbst lokalen Einwohnern. Deshalb schien es leider nicht überraschend, dass der Front National unter der Leitung von Marine Le Pen in den letzten Jahren markanten Wählerzuspruch erhielt. Ein Wählerzuspruch, der durch das Charlie Hebdo-Blutbad kaum abebben wird.
Inwiefern sich der Anschlag von der 10 Rue Nicolas Appert auf das Verhältnis zwischen Immigranten und der restlichen Gesellschaft auswirkt, wird sich zeigen. Die Tendenz zeigt wohl in Richtung Verschlechterung, da plötzlich wieder das stereotypische Klischee des Terroristen wie ein Damoklesschwert über den Einwanderern hängt. In ihrer Verzweiflung greifen diese dann nicht selten zu Gewaltakten, um Aufsehen zu erregen. Eine Endlosspirale nimmt ihren Lauf. Auf die sozialistische Regierung von Premierminister Manuel Valls und Staatspräsident François Hollande (PS) kommen noch härtere Zeiten zu als sie bisher schon waren. Ihre Aufgabe ist es nun, dass sich im Hexagon keine Gräben aufmachen. Eine schwierige Aufgabe. Der Kulturkampf, der von islamophoben Bewegungen und fremdenfeindlichen Parteien immer als Schreckgespenst hergezaubert wurde, droht Realität zu werden – er kann nur noch verhindert werden, wenn sich die Gemüter nicht noch mehr aufheizen. Auf eine Stellungnahme von Marine Le Pen wartete Frankreich lange vergeblich, ehe sie sich bei Twitter zu Wort meldete und eine Diskussion zur Wiedereinführung der Todesstrafe anregte.
Links