Die Schweizer Bergbahnen sind grosser Konkurrenz ausgesetzt und müssen nun kräftig investieren, um weiter attraktive Tourismusdestinationen zu bleiben. Im Berner Oberland planen die Jungfraubahnen Holding und die Gondelbahn Grindelwald–Männlichen ein gemeinsames Projekt, welches unter dem Projektnamen V-Bahn bekannt ist und zwei Luftseilbahnen von einer gemeinsamen Talstation in Grindelwald-Grund zum Männlichen und zur JB-Station Eigergletscher vorsieht. Sowohl bei den Einwohnern der Standortgemeinden Grindelwald und Lauterbrunnen als auch bei Umweltschützern haben sich jedoch kritische Stimmen an den Vordergrund gedrängt, so dass die ausserordentliche Gemeindeversammlung von heute in Grindelwald zum Thriller mutiert.
Die Jungfrauregion: Zahlreiche kühne Bahnprojekte
Das markante Dreigestirn von Eiger, Mönch und Jungfrau im Berner Oberland ist eines der bedeutendsten Touristenziele der Schweiz. Ebenso sind die drei Gipfel Bestandteil zahlreicher mehr oder weniger verwirklichten Bergbahnprojekte. Eine Bahn auf den Eiger erhielt zwar die Konzession des Bundesrates, blieb aber ebenso Wunschtraum wie die komplette Vollendung der von Adolf Guyer-Zeller geplante Bahn auf die Jungfrau, welche bis heute auf dem Jungfraujoch in 3454 Meter über den Meeresspiegel endet. Nun folgt ein neues Kapitel. Die Jungfraubahnen Holding, zu der nebst der meterspurigen Jungfraubahn (Kleine Scheidegg–Jungfraujoch) auch die Wengneralpbahn mit ihren mit einer Spurweite von 800 mm gebauten Bahnstrecken Lauterbrunnen–Wengen–Kleine Scheidegg und Grindelwald–Grindelwald Grund–Kleine Scheidegg umfasst, plant gemeinsam mit der bestehenden Gondelbahn Grindelwald–Männlichen, deren Konzession 2016 ausläuft, ein neues Projekt: Unter dem Namen V-Bahn sollen von einer gemeinsamen Talstation in Grindelwald Grund in V-Form einerseits eine 3S-Bahn namens Eiger-Express zur JB-Station Eigergletscher führen, andererseits soll die bestehende Männlichenbahn durch eine Achtergondelbahn ersetzt werden. Die Kosten werden mit rund 280 Millionen Franken veranschlagt. Zur Erschliessung des neuen Terminals Grund ist zudem eine Haltestelle der Berner Oberland-Bahnen (BOB) geplant.
Umstritten in Bevölkerung, Bergschaft und Umweltverbänden
Als die beiden treibenden Akteure im Jahre 2012 das Projekt vorgestellt haben, kamen nur vereinzelt kritische Stimmen zum Vorschein, die jedoch im Verlaufe der Jahre immer zahlreicher wurden. Anfänglich reichten Umweltverbände wie Pro Natura oder das WWF Einsprache ein, insbesondere wegen der Änderung von Überbauungsordnungen von beispielsweise Pisten, welche gemäss den Einsprachen nicht ohne Diskussion vonstatten gingen. Als vorentscheidend wurde die Abstimmung der Bergschaft Wärgistal, deren Gebiet rund 750 Hektaren rund um den Eiger umfasst, angesehen. Mit 70 Ja- zu 41 Nein-Stimmen stellte sich die Mehrheit der Bergteiler hinter das Projekt, für eine offizielle Zustimmung der Bergschaft wäre jedoch eine Zweidrittelmehrheit vonnöten gewesen, welche nicht erreicht wurde. Am 24. Oktober 2014 befinden nun die Stimmbürger von Grindelwald an einer ausserordentlichen Gemeindeversammlung über das Projekt, am 27. Oktober wird das Geschäft in der ordentlichen Gemeindeversammlung in Lauterbrunnen behandelt. Inwiefern sich der Entscheid der Bergschaft auf die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger auswirkt, ist nicht bekannt, ein Dämpfer ist er jedoch für die Akteure. Es stellt sich dabei die Frage, welches der Anliegen der Bevölkerung wichtiger ist: Der Landschaftsschutz oder der Tourismus.
Befürworter und Gegner der V-Bahn im Regionaljournal Bern Freiburg Wallis von Schweizer Radio und Fernsehen vom 15. Oktober 2014
Die Schweizer Bergbahnen unter Zugzwang
Unangefochtene Spitzendestination in Sachen Bergtourismus ist die Schweiz wahrscheinlich längst nicht mehr, viele Staaten haben den inländischen Tourismus forciert, so beispielsweise Russland, welche die Anlagen der olympischen Winterspiele von Sotschi nun nachhaltig betreiben und vermarkten muss. Aus diesem Grund rüsten die Schweizer Bergbahnen auf. So baute man am Stanserhorn eine Cabriobahn mit offenem Deck, auch andere Bergbahnen investieren in die Zukunft. So erneuern die Rigi Bahnen die Luftseilbahn Weggis-Rigi Kaltbad in der Saison 2017/2018 komplett, während man im Berner Oberland nun mit der V-Bahn ein solches wegweisendes Projekt in den Startlöchern hat. Die Reisezeit aufs Jungfraujoch würde sich markant verkürzen, zudem würde die Wengneralpbahn entlastet. Auch die vom ägyptischen Investor Samih Sawiris forcierte Fusion der Bergbahnen von Andermatt und Sedrun bringt enorme Investitionen mit sich: Nebst neuen Ski- und Sesselliften als Erneuerung bestehender Anlagen soll beispielsweise eine bereits bestehende Militärseilbahn zwischen Göschenen und dem Nätschen durch eine Gondelbahn ersetzt werden, so dass die Reisenden von der Gotthardbahn bzw. der Autobahn A2 nicht mehr einen Umweg durch die Schöllenen und Andermatt auf sich nehmen müssen und diese auch entlasten.
Die Folgen bei einem Nein zur V-Bahn
Umwelt- und Landschaftsschutz ist gut und recht, jedoch darf auch der Tourismus nicht ausser Acht gelassen werden. Die Angst vor dem Überlaufen des Berner Oberlandes durch Touristen ist hinfällig, der Trend lässt sich nicht mehr abwenden, auf dem Jungfraujoch sind Schweizer Tagestouristen eine Seltenheit. Vor allem auch aus Kostengründen. Trotzdem sind die Gäste aus dem vorwiegend asiatischen Raum nicht zu verachtende Einnahmequellen, weswegen das Jungfraujoch gegenüber anderen Tourismusdestinationen in Europa konkurrenzfähig sein muss. Im Gegensatz zur einheimischen Bevölkerung spielt bei solchen Gästen die Wetterabhängigkeit keine Rolle, die Reisen werden im Voraus gebucht. Die Reisezeitverkürzung mit der V-Bahn von 45 Minuten spielt dabei eine entscheidende Rolle für die Konkurrenzfähigkeit. Zudem würde die WAB von Gruppenreisenden entlastet. Nicht eintreffen wird die befürchtete Einstellung der WAB-Strecke Grindelwald Dorf–Kleine Scheidegg, die Zahnradbahn wird weiterhin bestehen bleiben und nun ausschliesslich Individualreisenden zur Verfügung stehen, die nun mehr Platz erhalten werden. Gruppen aus dem asiatischen Raum geniessen bei mehreren Bergbahnen in der Schweiz Pauschalpreise, die pro Person um ein Vielfaches tiefer sind als der offiziell gültige Einzeltarif, weswegen oftmals diejenigen, die mehr bezahlt haben, keinen Platz mehr in den Zügen haben.
Was ist eine 3S-Bahn?
Der Eiger-Express zwischen Rothenegg und Eigergletscher wird als so genannte 3S-Bahn gebaut. Darunter versteht man ein von der in Thun-Gwatt domilizierten ehemaligen Seilbahnsparte des Schweizer Industriekonzerns von Roll, welche 1996 vom österreichischen Konkurrenten Doppelmayr aufgekauft wurde und heute zum österreichisch-schweizerischen Doppelmayr/Garaventa-Konzern gehört, entwickeltes System, wo die Kabine von einem Zugseil gezogen wird, aber auf zwei Tragseilen ruht. Beispiele dafür finden sich in Form der Peak 2 Peak Gondola in Whistler/CAN, anlässlich der Olympischen Winterspiele von Vancouver 2010 erbaut, oder in Kitzbühel/AUT.