Der Bundesrat will sie, der Ständerat nun auch: Die zweite Röhre am Gotthard-Strassentunnel der A2. Damit setzt man sich auch über Volksentscheide hinweg, 1994 wurde die Alpeninitiative angenommen. Der vom Bundesrat versprochene Kompromiss, dass die beiden Röhren neu eine Fahrspur und einen Pannenstreifen umfassen, ist nicht in Stein gemeisselt. Zudem wird die Verkehrsverlagerung von der Strasse auf die Schiene nach den Eröffnungen der NEAT-Basistunnels am Gotthard und am Ceneri nicht berücksichtigt. Am 24. September 2014 debattiert nun auch der Nationalrat, im Falle einer Annahme wird wohl das Referendum ergriffen. Angesichts des straffen Zeitplans wird das Volk wohl spätestens 2015 an die Urne gebeten und wohl hoffentlich auch spätestens zu diesem Datum zur Besonnenheit kommen.
NEAT für den Kanton Tessin wohl ein Fremdwort
Der Kanton Tessin forciert eine zweite Röhre am Gotthard mit der Begründung, dass der Kanton während einer dreijährigen Vollsperre von der restlichen Schweiz abgeschottet wäre. Mit ein wenig Lektüre würden die Politiker allerdings auch begreifen, dass nicht nur der Verkehrsträger Strasse existieren würde, sondern auch derjenige namens Schiene. Und dort wird seit 1992 in einer Milliardenbaustelle an einem Projekt namens Neue Eisenbahn-Alpentransversale, besser bekannt unter dem Akronym NEAT gearbeitet, die Basistunnels am Gotthard und am Ceneri sollen Ende 2016 bzw. Ende 2019 eröffnet werden, just rechtzeitig vor der anstehenden Sanierung des Strassentunnels. Und auch auf der Schiene lassen sich Güter transportieren, sowohl internationale Transit-, als auch Lokalgüter. Nicht zu vergessen der Vorteil der NEAT für den Personenverkehr, man vergleiche mit dem Kanton Wallis, der durch die Eröffnung des Lötschberg-Basistunnels erheblichen Aufschwung in Wirtschaft und Tourismus erlebte.
Widersetzung von Volksentscheiden
1994 wurde die Alpeninitiative angenommen, welche die maximale Obergrenze für Lastwagen und Sattelschlepper auf der Nord-Süd-Achse auf eine Million pro Jahr begrenzt, angenommen. Seither wurde diese Schallmauer immer durchbrochen. Auch wurde damals dem Anliegen stattgegeben, den Gotthard-Strassentunnel nicht auf zwei Röhren und vier Fahrspuren auszuweiten. Ausgerechnet die SVP, welche streng auf die genaue Umsetzung ihrer diversen angenommenen völkerrechtsverletzenden Initiativen pocht, setzt sich hier über einen Volksentscheid hinweg und unterstützt den Ausbau nahezu geschlossen.
Nichtsdestotrotz wünschen sich nun Bundesrat und Ständerat einen Ausbau am Gotthard, mit der Begründung, der Bau einer zweiten Röhre sei im Angesicht der anstehenden Generalsanierung des bestehenden Tunnels die kostengünstigste Lösung, auch wenn andere Berichte dies widerlegen. Am 24. September debattiert auch der Nationalrat darüber.
Der damalige Verkehrsminister Adolf Ogi (SVP) erlitt mit der Alpeninitiative eine schwere Niederlage, brüskierte er doch im Vorfeld der Abstimmung den Kanton Uri mit einer unbedachten Äusserung. Es mag schon beinah ironisch anmuten, dass Ogi damals gegen eine Begrenzung des Lastwagenverkehrs am Gotthard war, aber nicht den Bau der Gemmiautostrasse wieder ins Spiel brachte und entsprechend forcierte, welche gemäss den Planungen in den 1950er-Jahren von Spiez/BE über Ogis Wohnort Kandersteg/BE und Leukerbad/VS ins Rhônetal führen sollte, wo sie Anschluss an die zur Zeit in Bau befindliche A9 Sierre–Visp haben sollte. Ebenfalls Abschied genommen wurde von der Idee eines Tunnels unter dem Rawilpass und dem damit verbundenen Lückenschluss zwischen A6 bei Wimmis/BE und der A9 bei Sion/VS.
Vom Bundesrat geplante Variante
Zwischen 2020 und 2030 steht für den Gotthard-Strassentunnel eine Totalsanierung mit Vollsperren an. Würden die notwendigen Vollsperren an einem Stück ausgeführt, wäre der Tunnel für drei Jahre nicht passierbar. Aus diesem Grund will der Bundesrat zwischen 2020 und 2027 eine zweite parallele Röhre zwischen Göschenen/UR und Airolo/TI bauen, welche zwischen 2027 und 2030 während der Sanierung des bestehenden Tunnels im Gegenverkehr genutzt wird. Nach 2030 stünden beide Röhren zur Verfügung.
Tagesschau von Schweizer Radio und Fernsehen vom 13. März 2013
Pannenstreifen als Etikettenschwindel?
Der Bundesrat will im Gesetz verankern, dass trotz der zweiten Röhre kein Kapazitätsausbau am Gotthard stattfinden soll. Nach der Beendigung der Totalsperre der alten Röhre, sollen jeweils eine der beiden Fahrbahnen der beiden Tunnelröhren als Fahrspuren dienen, die anderen als Pannenstreifen. Jedoch ist dieser Kompromiss nicht stichhaltig, denn ein Bundesgesetz lässt sich auf Druck von aussen schnell ändern, da eine solche Änderung keinem Referendum untersteht, hat auch das Volk nicht mehr mitzureden. Die Gotthard-Autobahn ist beidseits des Tunnels vierspurig ausgebaut, dazu kommt ab 2020 der Neubau einer zweispurigen Autostrasse am Axen zwischen Ingenbohl/SZ und Flüelen/UR, die abermals Mehrverkehr generieren wird. Zudem sind diejenigen Politiker, welche heute den Entscheid über die zweite Gotthardröhre fällen, 2030 nicht mehr aktiv, die Sichtweise kann sich ändern.
Arena von Schweizer Radio und Fernsehen vom 14. März 2014
Autoverlad und RoLa als beste Lösung
Um den Transport von Autos und Lastwagen in den Süden auch während der zweieinhalbjährigen Totalsperre gewährleisten zu können, können Autoverlade und rollende Landstrassen ins Spiel gebracht werden.
Vor der Eröffnung des Gotthard-Strassentunnels 1981 war zwischen Göschenen/UR und Airolo/TI ein Autoverlad auf der Gotthardbahn analog zur heutigen Situation am Lötschberg (Kandersteg–Goppenstein) und am Simplen (Brig–Iselle) installiert, der während der Totalsperre nach der Brandkatastrophe im Oktober 2001 mit 11 Todesopfern kurzzeitig reaktiviert wurde. Die notwendige Infrastruktur in Göschenen und Airolo samt Zufahrten ist weiterhin vorhanden, Wagenmaterial kann bei der BLS angemietet werden. Für Lastwagen würde sich eine rollende Landstrasse (RoLa) als beste Lösung erweisen. Um die Kapazitäten auf den Zulaufstrecken zum Gotthard-Basistunnel nicht zu gefährden, sollten die beiden Verladeterminals zwischen den Abzweigungen Rynächt/UR und Cresciano/TI errichtet werden, wo die Neubaustrecke von der Bergstrecke abzweigt. Durch den Gotthard-Basistunnel sind zwei Personenverkehrs- und sechs Güterverkehrstrassen vorgesehen. Vorgesehen wären drei Züge pro Stunde und Richtung mit einer Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h. Die dafür geopferten drei stündlichen Transitgüterzüge könnten via Bergstrecke verkehren, die ohnehin weiterhin auch dem Güterverkehr dienen wird.
Der Transitgüterverkehr durch die Schweiz als Erfolgsgeschichte
Auf dem Verlagerungsziel basierend, wurde der Transitgüterverkehr durch die Schweiz in den letzten Jahren markant hochgefahren. Im ersten Halbjahr 2014 wurden 67.5% des alpenquerenden Güterverkehrs per Bahn via die beiden Transversalen am Gotthard und am Lötschberg gefahren, Tendenz steigend. Der Markt ist seit der Liberalisierung des Güterverkehrs 1999 stark umkämpft: Nebst den beiden Platzhirschen SBB Cargo International und BLS Cargo sind auch Crossrail, DB Schenker Rail Cargo und die SNCF-Tochter Captrain im Transitgüterverkehr durch die Schweiz präsent.
CaboRuivoTV über den Bahnverkehr am Gotthard:
Abermals CaboRuivoTV über den Bahnverkehr am Gotthard:
Im Vergleich dazu hat in Frankreich (Mont-Cenis/Mont-Blanc/Fréjus) und Österreich (Brenner/Tauern) jeweils die Nase vorne.
Posse um Verladestation
Der Kanton Uri wünscht sich die Variante mit Verladestationen auf die Bahn. Jedoch soll in seinen Augen das nördliche Terminal nicht unbedingt auf seinem Territorium errichtet werden, deshalb beauftragte er das Planungsbüro SMA und Partner aus Zürich, weitere Standorte zwischen Brugg/AG und Brunnen/SZ zu evaluieren, ohne jedoch die Kantone Aargau, Zug und Schwyz zu informieren. Die SMA erachtete Standorte wie Birr/AG, Hendschiken/AG, Oberrüti/AG, Risch/ZG und Steinen/SZ als ideal, was wiederum die betroffenen Kantone verärgerte. Ein solches Terminal würde eine Fläche von 60’000 m2 beanspruchen, zudem lägen alle vier Standorte an der heutigen Güterverkehrsroute von Brugg via Aargauische Südbahn und Gotthardbahn, welche noch genügend Kapazitäten aufweist.
Verkehrsverlagerung infolge NEAT am Gotthard wird nicht berücksichtigt
In der heftigen Debatte um die Kapazitätsengpässe am Gotthard wird der Fakt übergangen, dass mit der Eröffnung der Basistunnels am Gotthard und am Ceneri die Reisezeit für Bahnreisende markant sinken wird und das Auto nicht mehr konkurrenzfähig sein wird. Zürich–Lugano soll nunmehr noch zwei Stunden dauern. Die SBB rechnen mit einer Verdoppelung der Anzahl Passagiere und will mit der Eröffnung des Ceneri-Basistunnels 2019/2020 den lückenlosen Halbstundentakt zwischen Zürich und Lugano einführen. So ist es naheliegend, dass die am Gotthard vorgesehenen Investitionen, sofern sie unbedingt dem Strassenverkehr zukommen müssen, an anderen Stellen wie beispielsweise im Grossraum Zürich, besser angelegt wären.
Selbst der Kanton Tessin scheint die SBB und die NEAT zu vergessen, denn er befürchtet durch die zweieinhalbjährige Totalsperrung des Strassentunnels, von der restlichen Schweiz abgeschnitten zu sein.
Das weitere Vorgehen
Sollte nach Bundes- und Ständerat nun auch der Nationalrat am 24. September 2014 grünes Licht für den Bau einer zweiten Gotthardröhre geben, wird das Referendum ergriffen. Die 50’000 notwendigen Unterschriften dürften nur Formsache sein, so dass über das Vorhaben am Ende an der Urne entschieden wird. Aufgrund des straffen Zeitplans der anstehenden Sanierung wird die Abstimmung wohl spätestens 2015 über die Bühne gehen. Bleibt zu hoffen, dass bis dahin die Mehrheit der Schweizer Stimmberechtigten und insbesondere der dem Urnengang Gewillten zur Vernunft gekommen sind.
Siehe auch
740 Millionen für neue Strassentunnels am Axen – aber kein Geld für die NEAT – Cabo Ruivo vom 26. Mai 2014
Leider dürfte die Erfolgsgeschichte desd Transitverkehrs am Gotthard demnächst Geschichte sein.
Mit der Einführung des ETCS auf der Zulaufstrecke Brunnen – Erstfeld werden für die von den Gütervehrkehrs-EVU stark genutzten Traxx-Lokomotiven Auflagen erlassen, welche eine vernünftige Produktion für kleinere und mittlere Unternehmen nicht mehr zulässt. So sind z.B. Lokzüge unter ETCS mit diesen Lokomotiven verboten. Wenn also eine Lok wegen fehlender Last ohne Anhängelast von Chiasso nach Basel fahren sollte um einen dort wartenden Zug abzuholen, ist das nur noch durch eine Umleitung über Milano-Simplon-Lötschberg (Bergstrecke) möglich.
Erste EVU haben bereits entschieden, ihre Züge auf andere Transitachsen zu verlegen.
Lokzüge unter ETCS sind selbstverständlich erlaubt. Was nicht erlaubt ist, ist das Schleppen von Lokomotiven in den Level 2-Bereich und die danach folgende Inbetriebnahme. Da hat SBB Cargo ein Problem, bislang werden nicht selten Loks nach Altdorf geschleppt und dann in Betrieb genommen.
Von einer Verlegung von EVU habe ich bislang keine Kenntnis. Meine Arbeitskollegen haben gesagt, dass bei ihren ETCS-Kursen auch immer Lokführer anderer EVU wie BLS Cargo oder Crossrail dabei waren.