Gross war heute in Medien das Gelächter, als herauskam, dass die in zwei Rahmenverträgen mit den Schienenfahrzeugherstellern Alstom und Bombardier vereinbarten 2000 neuen Regionalzüge der französischen Staatsbahn SNCF für die Bahnsteige an insgesamt 1300 Bahnhöfen zu breit wären. Während sich die Gesellschaft darüber amüsiert, schieben sich die SNCF und der staatliche Infrastrukturbetreiber RFF gegenseitig die Schuld zu. Doch was sind die Ursachen für diesen sprachwörtlichen Fauxpas? Denn das metrische System ist mittlerweile auch in Frankreich angekommen.
2000 neue Regionalzüge für die SNCF
Die französische Staatsbahn Société nationale des chemins de fer français will in den nächsten Jahren in den von den einzelnen Regionen subventionierten Regionalverkehr investieren und hat deshalb mit dem französischen Schienenfahrzeughersteller Alstom und dessen deutsch-kanadischem Konkurrenten Bombardier einen Rahmenvertrag für insgesamt 2000 neue Fahrzeuge abgeschlossen; zur Zeit sind 350 davon fix bestellt worden, einige befinden sich bereits auf Zulassungsfahrt, ein kommerzieller Einsatz steht unter anderem in Haute-Savoie unmittelbar bevor. Bei Alstom wurde dabei der Polyvalent bestellt, dem neusten Produkt der Coradia-Regionalverkehrsfamilie. Bombardier wiederum entwickelte für die SNCF den doppelstöckigen Régio2N als Bestandteil seiner OMNEO-Produktpalette. Sowohl der Alstom Coradia Polyvalent, als auch der Bombardier Régio2N, welche von der SNCF die neue Zugsbezeichnung Régiolis erhalten sollen, seien jedoch für die Perrons an insgesamt 1300 Bahnhöfen rund zwanzig Zentimeter zu breit, weswegen jetzt bis 2016 für 50 Millionen Euro die betroffenen Infrastrukturanlagen umgebaut werden können. Einige Bahnhöfe wurden bereits umgerüstet.
Schuldzuweisung zwischen RFF und SNCF
In Frankreich ist eine Streitfrage entbrannt, welches der beiden Unternehmen Schuld trägt. Die SNCF ist für den operativen Betrieb zuständig, die staatliche Réseau Ferré de France (RFF) für die Infrastruktur und somit auch für die Bahnhöfe. Die Trennung der beiden Unternehmen 1997 fusst in den 1991 von der EU (damals noch EWG) verfassten Liberalisierungsvorschriften, wonach Betrieb und Infrastruktur der Eisenbahn voneinander getrennt sein müssen. In der Schweiz, wo diese Regelung freilich nicht gilt, befindet sich die SBB-Division Infrastruktur immer noch unter demselben Dach wie die SBB Cargo oder die Division Personenverkehr. Anders sieht es bei der BLS aus, hier ist die BLS Netz AG mehrheitlich in Besitz der Schweizer Eidgenossenschaft, während die BLS AG nur ein Minderheitsanteil hält. Dies ist jedoch auf ein Handel zwischen der BLS und dem Bund bezüglich der Finanzierung des Lötschberg-Basistunnels zurückzuführen. Bei der Matterhorn-Gotthard-Bahn wiederum fand bei der Fusion zwischen der Brig-Visp-Zermatt-Bahn (BVZ) und der Furka-Oberalp-Bahn (FO) faktisch ein Tausch statt, die BVZ übernahm den Bahnbetrieb und benannte sich in Matterhorn-Gotthard-Bahn (MGB) um, die FO hingegen die Infrastruktur, sie trägt heute den Namen Matterhorn-Gotthard-Infrastruktur AG (MGI). Die MGB ist in Besitz der börsenkotierten BVZ Holding AG, die MGI in derjenigen des Bundes und der Anrainerkantone.
Fakt ist, dass die RFF der SNCF die Perronbreiten für alle seit 1984 errichteten Bahnsteige geliefert hat, wonach die neuen Züge vollständig mit diesen kompatibel seien. Jedoch gingen hier Perrons vergessen, die bereits vor 1984 gebaut wurden und sich nun als zu breit herausstellten. Der SNCF ihrerseits hätte dieser Fehler allerdings bei stichprobenartigen Überprüfungen auffallen müssen. Rein theoretisch sind die neuen Züge mit dem breitest möglichen Lichtraumprofil Frankreichs nicht kompatibel, dies im Gegensatz zu allen aktuellen Bestandteilen der SNCF-Flotte, bei der das Problem nicht auftrat. Dass das Lichtraumprofil für neue Züge angepasst wird, ist nichts neues, in der Schweiz investiert die Eidgenossenschaft beispielsweise eine Milliarde Schweizer Franken, um das Lichtraumprofil der Gotthardachse auf vier Meter Eckhöhe zu erweitern.
Beitrag der Radiosendung Rendez-vous von Schweizer Radio und Fernsehen
Frankreichs Schienenverkehr im Spagat zwischen dem TGV und dem Rest
Seit 1981 dominiert der TGV das Geschehen auf Frankreichs Schienen und ist dementsprechend auch der grosse Stolz des Staates. Doch dahinter verbirgt sich Erschreckendes im Hexagon: Die Trains Exprès Régional (TER) sind meistens unzuverlässig und stehen teilweise aus finanziellen Gründen vor der Einstellung. Die Züge werden von den jeweiligen Regionen bestellt, die SNCF führt danach den operativen Betrieb über regionale Tochtergesellschaften aus. Doch an der Misere haben die TER meist keine Eigenschuld: Der TGV hat stets Vorfahrt, selbst wenn dieser mit grosser Verspätung unterwegs ist. Das hat dann vor allem in der Saison der Mistral-Winde Auswirkungen, wenn die Verkehrsgeschwindigkeit auf der LGV Méditerranée gedrosselt werden muss.
1997 spaltete der französische Staat die bisherige SNCF in das Eisenbahninfrastruktur- RFF und das Eisenbahnverkehrsunternehmen SNCF auf, um damit einer zuvor von der EU verabschiedeten Richtlinie nachzukommen, welche die Unabhängigkeit von Betrieb und Infrastruktur verlangt, um bei der Liberalisierung des Schienenverkehrs fremden Unternehmen den Zugang zu erleichtern. In der Vergangenheit kam es wiederholt zu Kompetenzzusammenlegungen von RFF und SNCF, um den Dialog zu erleichtern, zumal SNCF bis heute quasi das Monopol innehat. Nur die DB-Tochtergesellschaft Euro Rail Cargo ist nebst SNCF Fret bzw. deren Tochter SNCF Géodis im Güterverkehr tätig, während im Personenverkehr Transdev (ehemals Veolia Transport) und das Trenitalia-Transdev-Jointventure Thello dem Platzhirschen das Geschehen streitig machen will. Im Gegenzug hat aber die SNCF die Fühler nach Resteuropa ausgestreckt, so ist man am italienischen Hochgeschwindigkeitszugsanbieter Nuovo Trasporto Viaggiatori (NTV) mit 20% beteiligt, während man im Güterverkehr im deutschsprachigen Raum mit der Marke Captrain präsent ist, die sich unter anderem am Gotthard für die Traktion des Papierzuges Malmö–Modena verantwortlich zeichnet.
Diskussion um die Liberalisierung des Schienenverkehrs
Die EU schreibt in ihrer Richtlinie 91/440/EWG die Liberalisierung des Schienenverkehrs im Personen- und Güterverkehrs vor. So hat jedes Unternehmen uneingeschränkten Marktzugriff. In einigen Ländern existiert ein erfolgreiches Modell, wie Österreich, wo die westBAHN GmbH zwischen Wien und Salzburg einen Taktverkehr anbietet oder Italien mit der NTV, während in Frankreich oder Deutschland die Staatsbahn bis auf wenige Mitstreiter auf einzelnen Strecken zumindest im überregionalen Verkehr noch das Monopol hat. In Deutschland ist die Herauslösung der DB Netz AG aus dem Deutsche Bahn-Konzern arg umstritten, sehr zum Missfallen der EU. In der Schweiz wiederum würde eine Konkurrenzsituation im Personenverkehr den Komfort für den Reisenden einschränken, da das engmaschige Netz der SBB und den Privatbahnen eng verknüpft und mit einer Zusammenarbeit untereinander verbunden ist. Mehrere Bewerber für eine Strecke gibt es sehr selten, bekanntestes Beispiel ist die Mittelthurgaubahn (MThB), welche die SBB erfolgreich beim Zuschlag für die Seelinie Schaffhausen–Rorschach ausgebootet hatte, ein attraktives Angebot einführt, an diesem jedoch finanziell zerbrach. Aktuellstes Beispiel ist die Gotthard-Bergstrecke, wo sowohl die SBB als auch die Südostbahn (SOB) den Verkehr ab Dezember 2016 übernehmen möchten. Ein Entscheid in dieser Frage steht noch aus.
Im Güterverkehr ist die Liberalisierung auch in der Schweiz angekommen, im Transitverkehr konkurrenzieren sich nicht nur die drei einheimischen Unternehmen SBB Cargo, BLS Cargo und Crossrail, sondern auch internationale Firmen wie Captrain oder DB Schenker Rail Cargo mischen mit, zudem gibt es nebst der SBB Cargo noch Unternehmen, die im Punkt-zu-Punkt-Verkehr tätig sind, so die Tochtergesellschaft des zweitgrössten Schweizer Detailhandelskonzerns Coop, die Härkinger railCare.