Schwyzer Justizstreit: Dick Marty legt Bericht vor

Gesellschaft Justiz Magazin Medien Politik Schweiz Verbrechen

Im vergangenen Jahr erhielt der ehemalige Tessiner FDP-Ständerat Dick Marty den Auftrag, den schon seit 2009 schwelenden Justizstreit im Kanton Schwyz als externe Position zu untersuchen. Unabhängig von Marty hatten bereits andere Institutionen solche Gutachten erstellt. Heute legte Marty seine Ergebnisse vor – zulasten des Kantonsgerichts.

Marty legt Ergebnisse vor

Im September 2011 beauftragte der Schwyzer Regierungsrat den Tessiner FDP-Politiker Dick Marty, der bis 2011 im Nationalrat sass und ebenfalls bis dato ein Europarat-Mandat innehatte, zunächst mit der Analyse und den Tätigkeiten der involvierten Parteien. Im März dieses Jahres wurde der Auftrag auf eine genaue Untersuchung eingeleitet, dies aufgrund der Tatsache, dass geheime Dokumente an die Medien gelangten, was beispielsweise Oberstaatsanwalt Georg Boller den Posten kostete. Im Gegensatz zu anderen Berichten, welche das Kantonsgericht entlasten, belastet Dick Marty vor allem dieses und insbesondere der noch amtierende Kantonsgerichtspräsident Martin Ziegler. Vor allem Zieglers Abhöraktionen gegenüber der Staatsanwaltschaft sorgen beim Tessiner Politiker und Juristen für Unmut. Einen weiteren Grund sieht Marty in den nicht gerade optimalen zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Kantonsgericht. Gleicher Meinung mit einem PUK-Bericht von 2009 ist Marty im Fakt, dass insbesondere der Konflikt zwischen Martin Ziegler und Georg Boller die Justizaffäre ausgelöst habe. Dieser PUK-Bericht aus der Feder Jürg Sollbergers sollte nicht an die Öffentlichkeit geraten, trotzdem zitierte die Presse eifrig daraus – die Indiskretion wurde Oberstaatsanwalt Boller zur Last gelegt, woraufhin dieser den Hut nehmen musste. Mittlerweile ist bekannt, dass nicht Boller selbst den Bericht den Medien zukommen liess.

Straffung des Justizapparates empfohlen

Obwohl Marty die Staatsanwaltschaft in Schutz nahm und den Weggang von Boller und Christina Müller bedauert, empfiehlt er eine Straffung der Organisation. Heute sind rund 30 Staatsanwälte im Kanton tätig, gemäss Marty würde ein Drittel dieser Belegschaft reichen. Im Gegensatz soll das Kantonsgericht auf drei vollamtliche Posten erweitert werden, zudem sollen vermehrt Juristen eingestellt werden. Ein Problem stellt auch die dreistufige Struktur des Kantons Schwyz – Kanton-Bezirk-Gemeinde – ein Problem dar, welches die Vorgänge weiter verkompliziert, da die einzelnen Bezirke ebenfalls über Gerichte verfügen. Auch die Funktion des Oberstaatsanwalts als Aufseher aller Staatsanwälte auf Kantons- und Bezirksebene sei für Marty eine fragliche Position, vor allem weil dieser wiederum durch die Regierung beaufsichtigt wird. Eine solche Vermischung von Exekutive und Judikative entwickle sich in der Schweiz mehr und mehr zu einer Ausnahme, zumal jüngst das Bundesgericht einer Reform unterzogen wurde, um den Einfluss des Bundesrats in diesem zu schwächen.
Gerügt wird zudem auch der Regierungsrat, weil der viel zu spät in die Angelegenheit eingegriffen hatte. Die Strafanzeige des im März 2012 nicht mehr zu den Gesamterneuerungswahlen angetretenen Justizdirektors Peter Reuteler gegen Martin Ziegler sei korrekt und bedingungslos zu unterstützen, aber mit zu starker Verzögerung eingereicht worden. Auch die Vizepräsidentin des Kantonsgerichts, Alice Reichmuth-Pfanmatter, bekommt im Marty-Bericht ihr Fett weg, zumal sie, obwohl ihr Amt dies erfordert, keine Unabhängigkeit gegenüber Martin Ziegler bewiesen hatte.

Tagesschau vom 09.05.2012
Bericht der Tagesschau des Schweizer Fernsehens vom 9. Mai 2012 über den Untersuchungsbericht Dick Martys.

Bezug auf Fälle

Marty nimmt auch Bezug auf diverse Fälle, welche in der Vergangenheit in Zusammenhang mit dem Donnerwetter in der Schwyzer Justiz standen. So stellte er klar, dass die Telefondaten im Fall Lucie sich am Ende zwar als nutzlos herausstellten, die Staatsanwältin Christina Müller, welche mit ihren Vorwürfen gegenüber Ziegler den Stein ins Rollen brachte, hätte dies aber nicht wissen können, als sie die Daten aus den Händen des Kantonsgerichts verlangte. Ein weiterer Fall ist derjenige von Lisa, eines 13-jährigen geistig behinderten Mädchens in Goldau/SZ, der auch in der Presse für Aufsehen sorgte. Es wurde vom im selben Haus lebenden Hauswart mehrfach sexuell missbraucht, woraufhin die Staatsanwaltschaft Anklage erhob und der Täter zu einer zwölfwöchigen Untersuchungshaft verurteilte, die vom Kantonsgericht wiederum auf deren vier gekürzt wurde. Auf die Bedenken der Staatsanwaltschaft auf Wiederholung der Taten hin entgegnete das Kantonsgericht, dass ein Kontaktverbot reiche. Täter und Opfer lebten wieder im selben Haus. Auf eine Beschwerde der Eltern gegenüber der Entscheidung ging Kantonsgerichtspräsident Martin Ziegler nicht ein – was den Schwyzer Nationalrat und heutiger SP-Fraktionschef Andy Tschümperlin veranlasste, gemeinsam mit seinen SVP-Kantonsmänner Pirmin Schwander und Peter Föhn sowie seinen Parteikolleginnen Bea Heim (SP/SO) und Marina Guscetti Carobbio (SP/TI) in Bundesbern eine Petition einzureichen, welche den Opfern beziehungsweise deren Angehörigen die Möglichkeit geben sollte, einen Rekurs oder andere Schritte gegen solche Verfahrensentscheidungen einzuleiten. Besonders pikant wurde der Fall Lisa aufgrund der Berichterstattung des SonntagsBlicks, weil das Boulevardblatt die Fakten nicht korrekt wiedergab, woraufhin Martin Ziegler eine Klage gegen dieses erhob.

Die Folgen des Streits

Die Schwyzer Justizposse hat bereits vor dem Marty-Bericht weitreichende Folgen. Nach der Bekanntgabe der Abhöraffäre empfahl der Schwyzer Kantonsrat Martin Ziegler nicht mehr zur Wiederwahl, woraufhin dieser die Suche nach einem Nachfolger blockierte. Erst mit der Zusicherung einer in poltischen Kreisen höchst umstrittenen Abfindung von 300’000 Franken gab Ziegler bekannt, sein Amt anlässlich der sowieso anstehenden Erneuerungswahlen seinen Postens im Juni zu räumen.
Nebst dem vom Regierungsrat in die Wüste geschickten Georg Boller wurde auch die Tätigkeit Christina Müllers als Staatsanwältin beendet, im Gegensatz zu Boller jedoch auf ihren eigenen Wunsch.

Links

  • Der komplette Untersuchungsbericht von Dick Marty zur Schwyzer Justizaffäre
  • Siehe auch

  • Schwyzer Justizstreit: Neue Erkenntnis – Gerichtspräsident bespitzelte Staatsanwälte
  • Schwyzer Justizstreit: Ziegler wird Vertrauen entzogen
  • Schwyzer Justizstreit: Martin Ziegler tritt nicht mehr zur Wiederwahl an