Ich wollte heute eigentlich einen schreibfreien Tag hinlegen, doch aufgrund gewisser Reaktionen auf die Buskatastrophe von Siders/VS muss ich mich doch eines Besseren belehren. Im Verlaufe des Tages geriet der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA) unter Beschuss, da dessen Normen – die für Schweizer Baustellen als Standardwerke gelten – solche Rettungsnischen wie im Tunnel de Sierre in Autobahntunnels vorschreiben. Doch das stösst gewissen Leutchen wohl sehr sauer auf.
Nothaltestelle war SIA-konform
Die Rettungsnische, in welche der belgische Car am Dienstagabend im Autobahntunnel der A9 unter dem Lac de Géronde in Sierre/VS geprallt ist und wo 28 Menschen ihr Leben lassen mussten, war gemäss den Normen des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA), dem Aushängeschilder und Ikonen der Branche wie Santiago Calatrava, Jacques Herzog, Pierre de Meuron, Mario Botta, Christian Menn, Giovanni Lombardi, André Rotzetter oder Aldo Bacchetta genauso wie beinahe jedes Architektur- und Ingenieurbüro hierzulande angehören, errichtet worden. Alle Bauten in der Schweiz, egal ob im Hoch-, Tief- oder Infrastrukturbau sind den SIA-Normen getreu zu errichten. Der SIA sieht solche rechtwinkligen Abschlüsse von Rettungsnischen vor, was nach dem Unglück in Sierre aufs heftigste kritisiert wurde. Fakt ist, dass dem in einem internationalen Test von europäischen Automobilverbänden mit dem Prädikat gut versehene Tunnel de Sierre Mängel beim Notfallkonzept bescheinigt wurden, doch bezog sich dieses Urteil vielmehr auf die fehlende Erkennbarkeit der Notausgänge.
Vor dem Unfall hatte niemand etwas gegen diese Abschlüsse auszusetzen, doch nach dem Unfall meint plötzlich ein jeder, dass er der Experte schlechthin ist und alles besser weiss.
Wären abgeschrägte Kanten wirklich besser?
In Deutschland sind rechtwinklige Abschlüsse seit 2003 nicht mehr regelkonform, neu müssen im Verhältnis 1:3 abgeschrägte Kanten das Ende von Rettungsnischen markieren. Auch in der Schweiz wurden Stimmen laut, die solche Vorrichtungen fordern. Doch wären solche Schrägkanten wirklich die bessere Lösung? Es wäre eventuell richtig, dass der Aufprall womöglich abgedämpft wurde, jedoch wären die Folgen etwa in demselben Rahmen ausgefallen wie Dienstagabends. Bei schrägen Kanten bestehe ausserdem die Gefahr, dass der Car wieder in die Fahrbahn zurückkatapultiert worden wäre, wo er unter Umständen mit anderen Fahrzeugen kollidiert wäre. Der Bus bei Sierre war nur frontal in die Wand geprallt, weil er auf dem Trottoir der Rettungsnische gefahren war. Wäre er auf der Fahrbahn ins Schleudern gekommen, wäre er vermutlich auch seitlich in die Wand geprallt – in diesem Fall würde eine schräge Betonwand den frontalen Aufprall als Folge haben.
Der SIA hat nach dem Unglück gesagt, dass er die Normen einer Überprüfung unterzieht. Beide Varianten haben Vor- und Nachteile, die hundertprozentige Sicherheit wird man nie haben, auf der Autobahn und auch auf den restlichen Strassen wird es stets Gefahren geben, mit denen man frontal kollidieren kann. Je nach dem ist halt das Fahrzeug oder das Kollisionsobjekt stärker.
Die gewünschten Leutplanken hätten vielleicht diese Kollision verhindert, allerdings hätten sie der Nothaltestelle genau ihren Nutzen geraubt: Wenn es im Tunnel brennt und man zunächst über eine Leitplanke klettern muss, um zum Notausgang zu gelangen… Na dann, viel Glück!
Überflüssige Kommentare
Was mich äusserst erbost, sind gewisse Kommentare im Trackback bei 20 Minuten Online, welche sich herablassend und auf äusserst primitvem Niveau über die Bauingenieure äussern und ihnen gar die Schuld am Tod der 28 Menschen geben. Diese Berufsgattung sei verantwortungslos und hätte keinen Respekt verdient, so der Tenor. Bitte sehr?! Ohne die Bauingenieure könnte die Auto-Lobby nicht über solche tollen Brückenbauwerke, die den Durchfahrenden gar nicht bewusst sind, wie beispielsweise der Biaschina-Viadukt bei Giornico/TI donnern oder man könnte seine x-tausend Möbelstücke, die eigentlich für das Leben nicht notwendig ist und man nur hat, um andere zu beeindrucken, auf den Boden stellen, der gleichzeitig die Decke des darunterliegenden Geschosses markiert. Vielleicht ist es blosser Neid, weil man auch so einen akademischen Beruf nachgehen möchte, dass eigene Intelligenzvermögen dies aber nicht zulässt.
Ich denke eher, dass man den Hebel an einer anderen Stelle ansetzen soll, so beispielsweise das Tempolimit für schwere Fahrzeuge senken und so in Tunnels statt einer Überholspur eine Spur ausschliesslich für schwere Fahrzeuge wie Busse oder LKW’s reservieren.
Also, liebes, ungebildetes Volk! Seit ruhig und hört mit euren Spekulationen und Schuldzuweisungen auf – es ist angesichts des Hintergrundes höchst pietätlos, sich darüber zu mokieren. Eine weitere Kritik möchte ich an die Adresse von Christoph Mörgeli schicken: Sein Kommentar, dass Eveline Widmer-Schlumpf auch im Rahmen des Carunglücks nur von sich redet, ist absolut überflüssig und sollte genauso sehr bestraft werden wie Couchepins Mengele-Vergleich ihm gegenüber! Mörgelis Partei darf provozieren wie sie will, doch macht es ein anderer in ihre Richtung, spielen sie die beleidigte Leberwurst!
Was ich übrigens von der Schweiz schade finde, ist, dass sie es nicht fertig bringt, am morgigen Tag landesweit die Fahnen auf Halbmast zu setzen und eine landesweite Schweigeminute einzulegen. Das wäre das Mindeste, was man tun könnte! Ich meine, nach den Terroranschlägen vom 11. September in den USA waren wir gezwungen, ganze drei Minuten innezuhalten.
Ich fordere hiermit alle Leser auf, morgen um 11 Uhr vormittags die Arbeit oder die Schule oder was weiss ich zu unterbrechen und in einem Moment der Stille den 28 Todesopfern von Sierre zu gedenken!
In diesem Sinne: Gute Nacht!