Gestern Dienstag und heute Mittwoch ist in der Premier League die englische Woche angesagt, kurzum, die Teams der obersten englischen Spielklasse spielen unter der Woche, was eher atypisch ist. Doch die Partien gehen im Trubel um zwei Rassismusvorwürfe unter, die sich vor rund zwei Monaten zugetragen haben, jedoch aufgrund Urteilssprechungen und -behandlungen wieder aufgekommen sind. Während Liverpools Luis Suarez acht Spielsperren aufgebrummt bekam, muss Chelsea-Star John Terry bei einem allfälligen Urteil mit einer hohen Geldbusse rechnen.
Evra versus Suarez
Der erste Vorfall sollte sich am 15. Oktober 2011 zugetragen haben, als der FC Liverpool auf den Erzrivalen Manchester United traf. Das Spiel ist sowieso das Hassduell schlechthin, in Sachen Titelsammeln sind die beiden Traditionsvereine in England das Mass aller Dinge. Die United wurde just diesen Frühling mit dem 19. Titelgewinn alleiniger Rekordmeister, davor teilte sie mit Liverpool diesen Status. Das Spiel an jenem besagten Oktobersamstag ging übrigens 1:1 unentschieden aus (und verhalf Uniteds Stadtrivalen Manchester City zum Sprung auf Tabellenplatz eins, den die Citizens bisher nicht abgaben), erhielt aber am folgenden Tag weit mehr Brisanz. ManUnited-Kapitän Patrice Evra, seines Zeichens dunkelhäutiger französischer Nationalspieler, beschuldigte vor laufenden Kameras des französischen Pay-TV-Senders CanalPlus den Uruguayaner Luis Suarez im Dress des FC Liverpool, ihn während des gesamtes Spiels mindestens zehn Mal mit einem gewissen Wort beleidigt zu haben. Das besagte Wort soll Nigger gelautet haben.
Suarez bestritt die Vorwürfe vehement, was jedoch nichts nützte: Der Stürmer der Reds wurde von der FA mit einer Spielsperre von acht Spielen belegt und muss zusätzlich eine Geldbusse von 40’000 britischen Pfund entrichten. Der FC Liverpool überlegt sich wiederum, gegen die Strafe einen Rekurs einzulegen, weil sie ihrer Meinung nach zu hart sind. Der Verein beruft sich darauf, dass kein weiterer Beteiligter gehört hat, wie besagtes Schimpfwort gefallen sei, weder Offizielle, noch Liverpool-Spieler oder Evras Teamkollegen der Red Devils. ManUnited-Manager Sir Alex Ferguson erklärte nach dem Auftauchen der Vorwürfe, dass Evra in dieser Hinsicht der Rücken gestärkt wird, er es dennoch schade finde, dass ein ansonsten friedliches Spiel zwischen den beiden verfeindeten Klubs durch solche Ereignisse überschattet würde.
… und Ferdinand versus Terry
Trotz des gesprochenen Urteils hat der englische Fussballverband FA noch keine Ruhe vor dem Rassismus gefunden, denn nun steht das nächste zu fällende Urteil an: Nur eine Woche später, kamen von Seiten des Queens Park Rangers-Verteidigers Anton Ferdinand Vorwürfe auf, dass er von Chelseas John Terry rassistisch beschimpft wurde. Besagtes Spiel fand am 23. Oktober statt, in dem QPR den Londoner Stadtrivalen Chelsea mit 1:0 besiegte. Wie Suarez verneinte auch Terry die Vorwürfe, trotzdem leitete die Metropolitan Police Ermittlungen ein, zumal das mutmassliche Opfer noch Ziel von anonymen Drohbriefen wurde. Angesichts der drastischen Strafe gegen Suarez zittert wohl nicht nur Terry vor einem allfälligen Urteil der FA.
Ist das Suarez-Urteil zu hart?
Jein. Ja, weil es nicht hundertprozentig bewiesen ist, ob der Stürmer tatsächlich die Contenance verloren hat, aus diesem Grund kann ich den Ärger des FC Liverpool verstehen. Andererseits ist das harte Durchgreifen der FA ein Zeichen gegen den Rassismus, denn Vorwürfe kommen selten von ungefähr. In England ist es sowieso ein heikles Thema, auch wenn es FIFA-Präsident Sepp Blatter gemäss einem Interview mit dem arabischen TV-Nachrichtensender Al Jazeera eher so sieht, dass Rassismus im Fussball kein Thema sei. Daraufhin wurde er für seine Äusserungen stark vom englischen Nationalspieler Rio Ferdinand kritisiert, der in beiden Fällen indirekt betroffen ist: Evra ist sein Teamkollege, Anton Ferdinand der Bruder. Von weiteren Exponenten des englischen Fussballs kamen in Hinblick auf die Vorwürfe gegen Suarez und Terry Forderungen hoch, dass Blatter von seinem Amt als FIFA-Präsident zurücktreten soll.
Tagessschau-Beitrag über Blatters Interwiev mit Al Jazeera
Rassismus ist im Fussball sehr wohl ein Thema, doch Blatter ist ja geübt, vor Problemen die Augen zu verschliessen. Die Liste der Rassismusvorwürfe ist lang, so warf Real Madrid-Akteur Marcelo seinem Gegenüber, Barcelona-Mittelfeldspieler Sergio Busquets, rassistische Beleidigungen vor, Busquets wurde von der UEFA aus Mangel an Beweisen frei gesprochen. In der Schweiz sorgte vor allem die Äusserung des ehemaligen Nationalspieler Blaise N’Kufo für Aufsehen, der dem damaligen Nationalcoach Köbi Kuhn vorwarf, ihn im Jahr 2002 nur wegen seiner schwarzen Hautfarbe nicht eingesetzt zu haben.
Der Urteilsspruch gegen Luis Suarez sorgte auf der Insel für mächtig Wirbel, so wurde der Fall als einer der komplexesten bezeichnet, da es im Ende Aussage gegen Aussage stand. So versäumte es die FA beispielsweise, beide Akteure zu einer Aussprache an denselben Tisch zu bringen, auch Suarez konnte sich den Angaben des FC Liverpool gemäss nicht zu den Vorwürfen äussern – wohl hatte er in den Medien das Recht dazu, was er auch in Form seiner heftigen Dementi tat. Für einen Wutanfall Alex Fergusons sorgte Brighton-Manager Gus Poyet, der verlauten liess, dass Suarez Opfer der Kulturunterschiede zwischen Uruguay und Grossbritannien wurde. Solche Differenzen seien keine Entschuldigung für die Äusserungen, sind sich auch BBC-Kolumnisten der Meinung. Der Fall sorgt im schmelztiegelbehafteten Grossbritannien für mächtig Aufsehen und Dramatik. Die führenden Medien Uruguays bezeichneten die Briten nach Urteilsverkündung als scheinheilig und als Pseudomoralapostel. Das Volk fühlt sich in seinem Stolz verletzt, waren sie doch im Jahre 1916 die ersten, die schwarze Spieler in ihr Fussball-Nationalteam aufnahmen.
Es kamen Vorschläge auf, dass ausländischen Spielern, die erstmals englisches Parkett betreten, erstmals die Regeln aufgezeigt werden, was erlaubt ist, und was nicht. Aber bitte sehr. Sind rassistische Äusserungen etwa nur auf der Insel verboten?