Der Kanton Graubünden macht in Sachen alternativer Energien Nägel mit Köpfen. Nebst dem grössten Windpark der Schweiz soll innerhalb seiner Grenzen auch das grösste Solarkraftwerk des Landes entstehen. Unter dem Projektnamen Solarkraftdorf werden im Prättigauer Dorf St. Antönien bestehende Lawinenverbauungen mit Solarpanels versehen. Möglich ist eine Versorgung von 1200 Haushalten mit dem Solarstrom.
Endgültig beschlossene Sache wurde die Errichtung am 20. Mai 2010, als sich die St. Antönier Gemeindeversammlung für den Projektierungskredit entschieden hatte. Durch das neue Kraftwerk können 3500 Tonnen Kohlendioxid eingespart werden. Produziert werden sollen rund 4,5 Gigawattstunden jährlich, was für eine Versorgung von 1200 Haushalten reicht. Laut den Initianten des Projekts, unter anderem die Gemeinde selbst, entspräche das dem grössten Teil des Prättigaus. Mit einer Leistung von 3,5 Megawatt bekommt das Solarkraftwerk St. Antönien den Status als das landesweit grösste seiner Art. Zum Vergleich: Das zur Zeit grösste Solarkraftwerk, gelegen auf dem Dach des Berner Stade de Suisse, erreicht eine Leistung von 1,4 Megawatt.
Angebracht werden die Kollektoren – übrigens eine Schweizer Erfindung – an bereits existierenden Lawinenschutzbauten am Chüenihorn, die sich ab 2000 Meter über dem Meeresspiegel befinden. Die Lawinenüberbauungen haben eine ideale Lage mit Blickrichtung Süd/Südosten. Die Panels werden in einem Einstrahlungswinkel von 60° angebracht. Budgetiert für den Vollausbau sind rund 20 Millionen Schweizer Franken, die mit Investitionsbeiträgen gedeckt werden sollten. Zu diesem Zweck soll auch eine Aktiengesellschaft oder GmbH gegründet werden.
Gute Energieform trotz Wetterrisiko
Die Solarpanels haben den Vorteil, dass sie geräuschlos sind. Kritikern zufolge jedoch sollen sie Bauten “verschandeln”. Dieses Projekt ist dem entgegengewirkt, da hiermit bestehende Lawinenverbauungen genutzt werden und die sich weit abseits von Wohngebieten befinden. Das grosse Problem der Solarenergie ist nebst dem relativ tiefen Wirkungsgrad von maximal 41% bei maximaler Sonneneinstrahlung (sonst nur 31%) die wetterabhängigkeit. Während die grossen Solarkraftwerke in Andalusien an relativ viel Sonnenschein ausgesetzt sind, haben wir hier in der Schweiz ein relativ grosses Regenrisiko. Aber: Laut Initianten ist das Prättigau eine der sonnenintensivsten Regionen der Schweiz. Und das ist gut so, denn schliesslich soll die Schweiz ja die Abkehr vom Atomstrom schaffen und das geht nicht mit Reklamieren, sondern mit Initiieren.
Wirtschaftliche Chancen für das Dorf selbst
Nebst der “gesunden” Energieform hat das Projekt für St. Antönien auch touristische und wirtschaftliche Vorteile. Analog zum Mont Soleil im Jura könnte so zum Beispiel ein Themenpark zur Solarenergie erstellt werden. Zudem könnte der Tourismus auf das Solarkraftwerk hinarbeiten und so zahlreiche neue Arbeitsplätze für das Dorf gewinnen. Zudem wurde das Dorf bereits jetzt durch das Projekt landesweit bekannt, denn am 27. Juli 2011 sendete die Rundschau des Schweizer Fernsehens im Beitrag Wohn in Sachen Energie über das “grüne” St. Antönien und dem aargauischen Döttingen, auf dessen Gemeinegebiet sich das AKW Beznau mit seinen zwei fast vierzig Jahre alten Reaktoren befindet.
Bericht der Rundschau des Schweizer Fernsehens vom 27. Juli 2011 über den Vergleich zwischen dem Atomdorf Döttingen/AG und dem Solardorf St. Antönien/GR.
Mögliche Vorreiterstellung
St. Antönien soll nur der Anfang sein. In der Schweiz sind rund 200 Kilometer an Lawinenschutz verbaut. Das wäre ein Potential von 50 – 60 Megawatt und würde bereits zur Versorgung von üner 20’000 Haushalten reichen. Im gesamten Alpenraum wäre sogar das zweieinhalbfache möglich. St. Antönien hat zwar eine gute Lage, doch sie ist bei weitem nicht die einzige in der Schweiz. Dafür gut eignen würde sich auch die Corviglia-Kette bei Celerina/St. Moritz oder der Südhang des Gotthards bei Airolo mit Fortsetzung Richtung Bedrettotal. Die Schweiz hat insofern Glück, dass sie soviel Berganteil besitzt. Denn so können die Kritiker alternativer Energien mundtot gemacht werden, da die “Verschandelung von Bauten durch Sonnenkollektoren” oder der “Schattenwurf und der FFFT-FFFT-FFFT-Lärm von Windrädern” weitab der Siedlungen zu liegen käme. Aber ehrlich gesagt ist dieses Kritikgehabe sowieso ohne Boden: Atomkraftwerke befinden sich ja auch schliesslich in Siedlungsnähe: Werfen Kühltürme oder die Dampffahnen keinen Schatten, oder wer ist dann noch glücklich, wenn die ganze Bude in die Luft geht?
Die Aktien von Solarunternehmen haben seit der Fukushima-Katastrophe im März 2011 an Aufwind gewonnen. Und sogar Daniel Küblböck hat damit Millionen gemacht…
Portrait St. Antönien
Die Gemeinde St. Antönien liegt an Hanglage im Prättigau und grenzt an Österreich. In zwei Schritten entstand die Gemeinde 1979 und 2007 aus Fusionen der bisher eigenständigen Gemeinden St. Antönien Castels, St. Antönien Rüti und St. Antönien Ascharina. Das Dorf besteht aus walserähnlichen Siedlungen. Die Verkehrsverbindung zur Hauptstrasse im Tal wird mittels Strasse nach Küblis bewerkstelligt. Im Öffentlichen Verkehr ist die Gemeinde durch nur acht Postautokursen täglich erschlossen.
Größere Kartenansicht
St. Antönien in Google Maps. Das Kraftwerk soll auf der relativ freien Fläche oberhalb des Dorfes gebaut werden.
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