Big Bang Brunnen: Die Gretchenfrage nach dem Urknall

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Eines sei vorweg gesagt: Der Big Bang Brunnen bricht mit allen Konventionen. Annette Windlin und Gisela Widmer lassen die Menschheit nach den Gründen ihrer Existenz fragen, ein packender Streit zwischen Gott und Teufel, alles verpackt in einer lebendigen Inszenierungen an einem aussergewöhnlichen Spielort: Eine stillgelegte Zementfabrik assoziiert man kaum mit Gott und der Welt – doch dank der Inszenierung Windlins wird man eines Besseren belehrt. Bühne frei für den grossen Knall!

Absurdes Theater mit der Handschrift Windlins

Die Dimensionen des Spielorts sind aussergewöhnlich (Foto: Georg Anderhub, mit freundlicher Genehmigung von Big Bang Brunnen)
Die Dimensionen des Spielorts sind aussergewöhnlich (Foto: Georg Anderhub, mit freundlicher Genehmigung von Big Bang Brunnen)
Kurios: Der erste Begriff, der dem Theaterzuschauer in den Sinn kommt, sobald der erste Vorhang für Big Bang Brunnen fällt. Das Stück beginnt mit dem grossen Knall, dem Big Bang.
Die Figuren sind grotesk gezeichnet, dem Gottvater scheinen die Menschen den Rang als Bestimmungsfigur über die Welt den Rang abgelaufen zu haben.
Er selbst scheint buchstäblich zu schlafen, nach dem Aufwachen wird seine ganze Macht spürbar, Darsteller Adalbert Spichtig schafft es, mit seiner Stimme die Halle zum Beben zu bringen. Die Himmelwelt ist entsetzt: Dolly, das Schaf, durch Menschenhand erschaffen. Seine Frau Maria versucht zunächst, immer etwas Positives abzugewinnen, scheint aber zunehmend zu resignieren. Sein Sohn Jesus, ein Sinnbild der heutigen Jugend? Er surft ständig mit dem Smartphone, wenn auch im Gegensatz zur Handy-Generation mehr auf Wikipedia statt auf Facebook oder WhatsApp, und ist beleidigt, wenn man ihn nicht fragt – genauso wie die Jugend, die von den Älteren der Gesellschaft selten um Rat gebeten wird, sondern eher spürt, dass man im jungen Alter als Taugenichtse gilt, weil die Lebenserfahrung fehlt.
Um Herr über der Schöpfung zu bleiben, wird der Teufel als Berater engagiert, fulminant der Auftritt seiner Imposanz und seiner Schergen, in der Hoffnung, den Deal mit viel Reichtum vergolden zu können; die Welten prallen aufeinander, doch aus dem gigantischen Schulterschluss wird nichts, weil der Schöpfer Dollys enttäuscht vondannen zieht. Wie geht es weiter?
Die Geschichte spielt in drei Paralleluniversen, hier der Pakt zwischen Himmel und Hölle, da die Rahmenerzählung der anfangs in den Raum schwebenden Belinda, dargestellt von Jo Reichmuth, und zu guter Letzt das Kernforschungszentrum CERN in Meyrin/GE, wo im Teilchenbeschleuniger LHC fieberhaft nach dem Higgs-Teilchen als letztes Puzzlestück zur Beantwortung der Existenzfrage gesucht wird.
Wer hier christliches Theater à la Sr. Silja Walters Mysterienspiel Haus der neuen Schöpfung erwartet, wird mit geballter Ironie empfangen, die jedoch den Zuschauer zum Nachdenken über die eigene Existenz anregt. Witzige Dialoge, ein gigantisches Bühnenbild, zahlreiche kreative Effekte – alles untermalt mit der treffenden Musik des Brunner Komponisten Hansjörg Römer. Kurzum, ein Theaterhighlight der Extraklasse, das es nicht zu verpassen gilt! Insgesamt noch 19 Aufführungen bis zum 12. Oktober warten auf Sie, die Aufführungsdaten finden Sie auch im Cabo Ruivo-Veranstaltungskalender.

Das Duo Windlin-Widmer und die Frage aller Fragen

Die Frage aller Fragen, Kernstück des jahrhundertealten Streits zwischen Religion und Wissenschaft. Wie entstand unser Universum? Wenngleich die Bibeltreuen unter uns weiterhin auf die 6000 Jahre Erdexistenz und auf der im Buch Genesis geschilderten Schöpfungsgeschichte pochen, ist es wissenschaftlich erwiesen, dass das Universum vor 14.6 Milliarden Jahren bei einer gigantischen Explosion, dem Urknall – zu englisch The Big Bang entstanden war. Dieses Motiv wird von Regisseurin Annette Windlin und Mundartautorin Gisela Widmer im Big Bang Brunnen aufgegriffen, einem zweistündigen Theaterspektakel in der stillgelegten Zementfabrik Brunnen, lose basierend auf Oskar Panizzas skandalumwittertes Werk Das Liebeskonzil. Seit 2004 bringt Theaterfrau Windlin im Dreijahresrhythmus Theaterwerke in Ingenbohl-Brunnen auf die Bühne; 2004 Paul Schoecks Täll anlässlich des Wilhelm-Tell-Gedächtnisjahres 2004, 2007 Meinrad Inglins Chlaus Lymbacher – beide im Saal des Hotels Eden, 2010 im ehemaligen Kursaal des Hotels Bellevue Grand Hotel Excelsior abermals nach Motiven Inglins und nun der bisherige Höhepunkt. Über 40 Laienschauspielerinnen und Laienschauspieler konnte Windlin für Big Bang Brunnen in der Halle 6 um sich scharen, einige bekannt aus der lokalen Theaterszene rund um die Bühne 66 und das Kollegitheaters, andere Neulinge auf den Brettern, welche die Welt bedeuten.

Ein aussergewöhnlicher Spielort

Grosse Theaterbühnen sind keine Seltenheit, aber ein Schauspiel in einer stillgelegten Halle mit eindrücklichen Dimensionen, wo der Staub noch von der industriellen Vergangenheit zeugt? Doch es entspricht der Wahrheit.
Bis aus der Industriebrache der ehemaligen Zementfabrik Brunnen, die 2008 vom Betreiber Holcim auf Kosten von 44 Arbeitsplätzen geschlossen wurde, das Wohn-, Gewerbe- und Dienstleistungsquartier Nova Brunnen wird, werden noch viele Hektoliter Wasser die Muota herabfliessen, weswegen das Areal durch kulturelle Zwischennutzungen belebt wird. Nebst Dauerprojekten wie der Kult-Turm oder dem Club Rebirth 13, gab es in der Vergangenheit auch Veranstaltungen wie die Kunstausstellung Die Fabrik ruft im vergangenen September oder das auf Richard Wagner und klassische Musik ausgerichtete Musikfest Brunnen am 29. Juni dieses Jahres, weswegen sich die Zementfabrik zu einer kleinen Kulturoase gemausert hat.


10vor10 vom 22.08.2013 über Big Bang Brunnen

Siehe auch

  • Big Bang Brunnen bei kultur-portal.ch
  • Big Bang Brunnen: SRF Kulturplatz aus der Zementfabrik – Cabo Ruivo vom 7. August 2013
  • Links

  • Webseite von Big Bang Brunnen
  • Gott in der Zementfabrik – NZZ Online vom 26. August 2013
  • Informationen zu den Tickets für Big Bang Brunnen
  • Der theatralische Urknall in Brunnen – SRF Zentralschweiz vom 24. August 2013