Nicolas Sarkozy muss um Wiederwahl bangen

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Tatzeit: 22. April zwischen 8 und 20 Uhr. Gesucht: Neues Staatsoberhaupt. Heute Sonntag haben die stets mit Klischees behafteten Franzosen noch eine weitere Aufgabe nebst dem wöchentlichen Baguette-Kauf. Sie werden nämlich zum Gang an die Urne aufgerufen, denn es gilt einen Staatspräsidenten zu wählen. Der Amtsträger Nicolas Sarkozy sieht sich vor allem der Konkurrenz des Sozialisten François Hollande entgegengesetzt, den acht weiteren Kandidaten werden nur Aussenseiterchancen eingeräumt. Jedoch werden rund dreissig Prozent an Kandidaten beider politischen Extreme gehen, Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon können mit je rund 15% rechnen.

Stichwahl höchstwahrscheinlich

Wer wird die nächsten fünf Jahre über die Tricolore wachen?
Heute sind rund 44.5 Millionen französische Staatsbürger aufgerufen, ihr neues Staatsoberhaupt zu wählen. Sie haben die Qual der Wahl zwischen dem amtierenden und für eine zweite Amtszeit kandidierenden Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, seinem Herausforderer François Hollande, der rechtsextremen Marine Le Pen und sieben weiteren Kandidaten. Für Sarkozy wird die Wahl kein Selbstläufer, gemäss diversen Umfragen wird Hollande als Sieger hervorgehen. Es ist anzunehmen, dass wie bei allen bisherigen Wahlen das absolute Mehr im ersten Wahlgang von keinem Kandidaten erreicht wird, so dass der für den 6. Mai 2012 terminierte zweite Wahlgang in Form einer Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten, welche heute die meisten Voten auf sich vereinen können, als höchstwahrscheinlich gilt. In dieser wird vom Volk dann definitv das neue Staatsoberhaupt der Grande Nation bestimmt. Die Einwohner im Hexagon haben seit heute früh um 8 Uhr die Möglichkeit zu wählen, in den diversen französischen Überseegebieten wurden die Wahllokale der Zeitverschiebung wegen bereits gestern geöffnet.
Tagesschau vom 20.04.2012
Umfragewerte vom 20. April, Tagesschau des Schweizer Fernsehens

Tag der Wahrheit für Sarkozy

Der amtierende Staatspräsident Frankreichs, Nicolas Sarkozy vom rechtsbürgerlichen Wahlbündnis UMP, wird letzte Nacht wohl nicht so gut geschlafen haben. Seine Wiederwahl ist alles andere als sicher, denn der Magistrat gilt als der unbeliebteste Präsident in der Fünften Französischen Republik. Der Glanz eines Charles de Gaulle, dessen Prinzipien die UMP folgt, ist längst verblasst – auch Sarkozys Vorgänger Chirac wurde aufgrund seiner teilweise illegalen Machenschaften, für die er im letzten Jahr zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt wurde, in den Köpfen der Franzosen immer mehr zu einem Symbol des Negativen. Sarkozy wurde 2007 wohl nur gewählt, weil Chirac und er sich bei Weitem nicht grün waren, weil Sarkozy seine Unterstützung bei den Präsidentschaftswahlen Chiracs parteiinternen Rivalen Édouard Balladur zugesichert hat. Dieses Jahr muss er um seine Wiederwahl bangen, er, der seine offizielle Kandidatur erst am 15. Februar 2012 bekannt gegeben hat, um den Anschein zu erwecken, dass die Funktion als Landesvater in der Eurokrise für ihn oberste Priorität hat, sogar wichtiger als die Wiederwahl ist. Ob ihm die Franzosen dies abkaufen, wird sich zeigen, Carla Bruni-Sarkozy wird bei der Abwahl ihres Gatten ihren Status als Première Dame verlieren und wieder ihrer Tätigkeit als Sängerin und Schauspielerin nachgehen müssen. Ihm nehmen die Franzosen vor allem übel, seine Wahlversprechen nicht gehalten haben – statt mehr Arbeit und mehr Geld wurde die Anzahl Arbeitsloser grösser und nur die Reichen wurden finanziell entlastet. Zudem sorgt sein Hang zum Luxus – den Wahlsieg feierte er mit milliardenschweren Exponenten der französischen Wirtschaft in einem Pariser Luxusrestaurant – für Unmut.

Hollande auf dem Vormarsch

Die Chancen für eine Abwahl Sarkozys bestehen durchaus, denn in den Umfragewerten führt zur Zeit sein Herausforderer der Parti Socialiste (PS), François Hollande, mit zuletzt rund fünf Prozenten Vorsprung auf Sarkozy, dem die Attentate von Montauban und Toulouse nur kurz zu einem Aufschwung verhelfen konnten. Hollande würde 29 Prozent der Stimmen holen, Sarkozy deren 24. Seit den ersten Umfragen 2010 schwangen stets die Sozialisten obenauf, damals galt der frühere IWF-Chef und frühere Finanz- und Wirtschaftsminister Dominique Strauss-Kahn (in der französischen Presse als DSK bezeichnet) als wahrscheinlichster Kandidat, doch dieser nahm sich mit seinem Sexskandal selbst aus dem Rennen. Mit dem Hintergrund der Wahlen wurden vor allem in sozialistischen Kreisen Gerüchte laut, wonach der Sexskandal Strauss-Kahns eine Verschwörung mit Ausgang im Sarkozy-Lager sei. In New York wurde Strauss-Kahn inzwischen freigesprochen, jedoch droht ihm in Frankreich neues Ungemach.
In internen Vorwahlen setzte sich am Ende Hollande durch, der zuvor fast nur in der Boulevardpresse durch seine dreissigjährige, 2007 beendete Liaison mit seiner Parteikollegin Ségolene Royal, welche 2007 Sarkozy bei den Präsidentschaftswahlen herausforderte, in der Stichwahl aber den Kürzeren zog, gross auffiel. Ihm wird oft fehlendes Profil vorgeworfen, weswegen er für 30% keine wählbare Alternative darstellt, die lieber für einen Extremisten Partei ergreifen.

Marine Le Pen wohl chancenlos

Sarkozy wird wohl immerhin in die Stichwahl gegen Hollande einziehen können, aber gewisse Zeit lag er gar nur auf Platz drei. Seinen Platz hätte damals Marine Le Pen, Kandidatin und Parteiführerin des rechtsextremen Front National, eingenommen. Die Tochter des fünfmaligen Präsidentschaftskandidaten und Parteigründers Jean-Marie Le Pen liegt zurzeit jedoch abgeschlagen mit 15 Prozent auf dem dritten Platz. Ihre Chancen, wie ihr Vater vor zehn Jahren in die Stichwahl einzuziehen, sind dementsprechend gering- Damals landete Jean-Marie Le Pen wohl nur wegen taktischer Stimmen aus dem Chirac-Lager vor dem eigentlich aussichtsreichen Kandidaten der Sozialisten, Lionel Jospin, denn in der Stichwahl konnte Chirac dann mit einer breiten Wählerbasis von Sozialisten und UMP rechnen, was sich auch im damals erzielten Ergebnis von über 82 Prozent der Voten wiederspiegelt. Wäre Jospin anstelle Le Pens in die Stichwahl eingezogen, wäre es für Chirac vermutlich eng geworden.
Le Pen gräbt vor allem Sarkozy Stimmen ab, weswegen dieser ebenfalls mit rechtpopulistischen Aussagen zur Wiedergewinnung der Stimmen konterte, was von Le Pen als Nachahmerei bezeichnet wurde. Bei einem Wahlsieg Le Pens würde Frankreich per sofort aus dem Militärbündnis NATO austreten, in das der Staat erst 2009 auf Initiative Sarkozys nach 43 Jahren Abstinenz wieder zurückgekehrt war.

Jean-Luc Mélenchon: Gefahr für Hollande

Auch Hollande sieht sich in der eigenen Wählerbasis Konkurrenz ausgesetzt: Für die linksradikale Front de gauche geht der 1951 in Tanger geborene Jean-Luc Mélenchon ins Rennen. Bei den Umfragen erzielte er wie Marine Le Pen Werte im Bereich von 15 Prozent. Mélenchon trat 2008 aus der Parti Socialiste aus, nachdem Ségolene Royal in einer Probeabstimmung zum Parteivorsitzt am meisten Stimmen erhielt – der dem linkssozialistischen Flügel der PS vorstehene Mélenchon ist Royal zu rechts, weswegen es zur Splitterung kam. Er gründete die heute rund 5000 Mitglieder starke Parti de gauche mit der deutschen Partei DIE LINKE als Vorbild – bei Wahlen tritt die PG stets gemeinsam mit der Parti communiste français (PCF) unter dem Wählerbündnis Front de gauche an. Mélenchon dürfte vor allem zu Gute kommen, dass er einerseits den Mindestlohn auf 1700 Euro monatlich festlegen möchte, andererseits will er die Macht des französischen Staatspräsidenten einschränken. Im Gegensatz zum deutschen Bundespräsidenten beispielsweise darf sich der französische Staatspräsident ins politische Tagesgeschehen einmischen, was sich vor allem zu Zeiten einer Cohabitation – wenn Staatspräsident und Regierung beziehungsweise Premierminister entgegengesetzten politischen Lagern angehören – als lähmend herausstellen kann. Deswegen hat der französische Premierminister im Vergleich zur deutschen Kanzlerin oder gar seinem britischen Pendant eine geringere Macht.

Weitere Kandidaten

Nebst diesen vier Kandidaten, welche zusammen rund 85 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen können, haben noch sechs weitere die Vorgaben zur Wahlteilnahme erfüllt. Der frühere UDF- und heutige Mouvement Démocratique-Mittepolitiker François Bayrou wird aber seinen 2007 erzielten dritten Platz mit 18.6 Prozent der Stimmen wohl kaum wiederholen können. Für die Grünen geht Eva Joly ins Rennen, sie darf mit etwa maximal zwei bis vier Prozent der Stimmen rechnen. Noch vor einem halben Jahr hätte sie rund sieben bis zehn Prozent erreicht, jedoch ist der so genannte Fukushima-Effekt, der auch die grüne Partei in anderen Ländern Europas beflügelt hatte, wohl abgeflacht, zumal Frankreich eisern an Atomkraftwerken festhält und drei Viertel seins Strombedarfs aus solchen bezieht.
Zwei weitere Linksaussenparteien, welche keine Zusammenarbeit mit der PG und der PCF wünschen, haben eigene Kandidaten nominiert. Die trotzkistische Partei Lutte ouvrière tritt mit Nathalie Artraud an, während die Noveau parti anticapitaliste mit Philippe Poutou ins Rennen steigt. Die 1996 ins Leben gerufene gaullistische Kleinpartei Solidarité & Progrès tritt mit ihrem Parteigründer Jacques Cheminade an. Für die im selben Spektrum angesiedelte Debout la République tritt Nicolas Dupton-Aignan an.

Auch Auslandfranzosen dürfen wählen

Nicht nur Einwohner des Stammlandes sowie den Überseegebieten Französisch-Guayana, Guadeloupe, Martinique und La Réunion werden zur Wahl aufgerufen, sondern auch ausserhalb der Staatsgrenzen lebende Staatsbürger. In der Schweiz beträgt diese Zahl rund 116’000, sie leben vorwiegend in der Westschweiz.
In den meisten Gemeinden und Wahlkreisen (in Frankreich Kantone genannt) sind die Wahlbüros bis 18 Uhr geöffnet. Weil es in grösseren Städten aber möglich ist, bis 20 Uhr seine Wahlzettel in die Urnen zu werfen, werden keine Hochrechnungen tagsüber ausgeführt, sich abzeichnende Trends sollen wie ein strenges Geheimnis gehütet werden, bis um 20 Uhr im Fernsehen das Wahlergebnis verkündet wird. Höchstwahrscheinlich werden die Franzosen am Sonntagabend ihren neuen Präsidenten noch nicht kennen, denn um im ersten Wahlgang gewählt zu werden, bräuchte ein Kandidat über die Hälfte aller Stimmen. Das ist der zersplitterten Parteienlandschaft und der dementsprechend hohen Anzahl der Kandidaten praktisch unmöglich. Die beiden Kandidaten, die am meisten Stimmen holen, ziehen in die Stichwahl vom 6. Mai ein, bei der dann derjenige mit dem höheren Anteil gewinnt.


Cabo Ruivo-Werbeclip zu den Wahlen in Frankreich

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