Am 9. Februar bittet die SVP gleich zweimal das Schweizer Volk an die Urne, weil sie abermals ihr rechtskonservatives Gedankengut im Gesetz verankern will. Nebst dem Vorstoss mit dem Slogan Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache wollen Brunner & Co. auch die Zuwanderung massiv einschränken. Das Stichwort der Masseneinwanderung ist zur Zeit in aller Munde – Übertreibung oder nicht? Jedenfalls wäre eine Annahme des Anliegens in höchster Weise fatal.
Wollen die Schweizer abgeschottet leben oder nicht?
Am 9. Februar ist das Schweizer Volk gebeten, gleich bei drei eidgenössischen Vorlagen ihr Kreuzchen zu machen. Einerseits die Vorlage zur Finanzierung und zum Ausbau der Bahninfrastruktur (FABI), andererseits bei zwei Initiativen der SVP. Eine davon wurde vom Muotathaler SVP-Ständerat und Sesselkleber Peter Föhn lanciert; sie verlangt, dass die Abtreibungen nicht mehr von den Krankenkassen bezahlt werden. Eine Idee, die kaum Geld spart, aber christlich-konservatives Gedankengut à la Vitus Huonder im Gesetz verankern will, und somit mit nur einem Wort beschrieben werden kann: unnötig.
An der anderen rechtspopulistischen Initiative scheiden sich die Geister: Die SVP will die Zuwanderung einschränken. Ihrer Ansicht nach sei die Schweiz überbevölkert – und da seien nur die Ausländer schuld. Genauso, wenn ein Schweizer Arbeitnehmer seinen Job nicht erhält.
Ein Ja zur Initiative würde nichts anderes als eine Abschottung gegenüber dem Ausland bedeuten. Gegenüber einem Ausland, auf das die Schweiz dringend angewiesen ist, denn obwohl sich viele Schweizer für unfehlbar halten, autark leben können die Schweizerinnen und Schweizer nicht, schon angesichts des Mangels an eigenen Rohstoffen.
Was wäre die Schweiz ohne Einwanderer?
Die Schweiz ist ein klassisches Einwandererland. Staatsbürger, die keinerlei ausländische Wurzeln aufweisen, findet man vielleicht noch in abgeschottenen Alpentäler. Die gute Infrastruktur, aber auch gute Arbeitsmöglichkeiten, sind ein gutes Argument, um seinen Wohnsitz in die Schweiz zu verlegen, ganz zu schweigen von den tiefen Steuern.
In der Vergangenheit hat die Schweiz auch von den Einwanderern profitiert. Gastarbeiter verrichteten grosse Arbeiten an der Infrastruktur. Für die Drecksarbeit am Bau scheint sich fast jeder Schweizer zu schade, er eröffnet lieber sein eigenes Unternehmen – das spiegelt sich im Umstand wider, dass Branchenprimus Implenia mit einem Umsatz von 2.52 Milliarden Schweizer Franken gerade mal einen Marktanteil von 5 Prozent aufweist. Trotzdem müssen die Strassen geteert und die Mauern hochgezogen werden. Tja, und wer führt diese Arbeit aus? Dieselbe Frage lässt sich auch in Alters- und Pflegeheimen stellen. Für gewisse Arbeiten sind sich manch Herr und Frau Schweizer sich zu schade.
Bei einer Annahme wären selbst SVP-Exponenten betroffen: Hans Fehr müsste dann eigenhändig den Boden fegen.
Warum eine Annahme verheerend wäre
Nicht nur das obige Beispiel der Arbeitskräfte würde sich bei einer Annahme der Masseneinwanderungsinitative für die Wirtschaft katastrophal auswirken. Auch die bilateralen Beziehungen mit der EU wären akut gefährdet, diese sind nicht nur für Schweizer Unternehmen existentiell. Leben wie das kleine gallische Dorf von Asterix und Obelix ist in der globalisierten Welt nicht möglich. Schon 1992 liess sich das Schweizer Stimmvolk von Äusserungen, dass die Schweiz als eigenes Land kräftig genug sei, blenden und lehnte den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ab. Heute gehören dem EWR mit Ausnahme der Schweiz und den Staaten des ehemaligen Jugoslawien alle europäischen Länder an.
Warum ausgerechnet Yvette Estermann gegen die Einwanderung ist
Die Luzerner SVP-Nationalrätin Iveta Gavlasovà, besser bekannt unter ihrem aktuellen Namen Yvette Estermann, engagiert sich für die Initiative. Ausgerechnet Estermann, als gebürtige Slowakin selbst Einwanderin und der deutschen Sprache immer noch nicht mächtig. Wie ist dieses Paradoxon zu erklären? Sie jedenfalls plappert munter die seichten Argumente ihrer Partei nach. Gedanken darüber, dass sie selbst immigriert ist, macht sie sich wohl kaum.
Paradox verhalten sich unter anderem auch Christoph Blocher und Peter Spuhler: Ihre Unternehmen Ems Chemie bzw. Stadler Rail erarbeiten einen grossen Teil ihres Umsatzes im Ausland. Stadler Rail will sich zudem für die geplante U-Bahn in Mekka/KSA bewerben, obwohl Spuhler seinerzeit sich als SVP-Mitglied für die Anti-Minarett-Initiative stark gemacht hat. Leider fällt das Volk immer wieder auf diese Widersprüche ein und schenkt an Anliegen Zustimmung, die überhaupt nicht menschenrechtskonform sind. Jüngste Beispiele: Die Anti-Minarettinitiative oder die Ausschaffungsinitiative, beide lanciert von der SVP. In manchen Fällen ist die halbdirekte Demokratie der Teufel im Schafspelz. Es wird immer positiv hervorgehoben, dass das Volk mitreden kann, aber dass zweifelhafte Entscheidungen einen Mehraufwand an Bürokratie zur Folge haben, wird meist vergessen. Die Menschen sind leider nicht so intelligent, wie sie vorzugeben scheinen.
Panikgeschiebe der SVP
Wir kommen kaum mehr aus der Haustür, weil sich bereits vor dieser die Menschen stapeln, auf den Autobahnen ist überall in der ganzen Schweiz Stau und die Züge sind so überfüllt, dass wie in Indien die Leute aufs Dach rauf müssen, ungeachtet der Fahrleitungsspannung von 15’000 Volt. Lustiges Szenario, oder? Nein, das nennt man Wahlpropaganda der SVP. Die Schweiz ist eine Mobilitätsnation und das Bauland wurde kontingentiert. Nur: Es gibt weitaus dichter besiedelte Staaten auf der Welt – also ist diese Panikmache ungerechtfertigt. Die Probleme mit Gewalt und Drogenhandel findet man überall auf dem Planeten, die so genannte und meist gewünschte heile Welt ist unrealistisch, absolut utopisch. Auch ein Schweizer kann prügeln, dealen und klauen. Doch für die Medien ist dies zu langweilig. Ein gutes Beispiel ist die Facebook-Seite der Kantonspolizei Schwyz. Kaum wird dort die offizielle Medienmitteilung eines von einem Ausländer begangenen Verbrechens publiziert, sammeln sich Kommentare à la Das Pack sollte man ausschaffen oder Immer diese Ausländer. Wird dieselbe Meldung über einen Schweizer publiziert, bleibt die Mitteilung unkommentiert.
Wie der Langenthaler Rapper und TV-Moderator David Lukas Kohler alias Knackeboul in einem Video 2013 richtig bemerkt hat, hat niemand das Recht zu sagen, man sei stolz, Schweizer zu sein – er müsse man sagen, man sei froh, Schweizer zu sein. Denn es ist Glückssache, wo man zur Welt kommt. Jeder, der hierzulande das Licht der Welt erblickt hat, hätte es genauso gut im Südsudan oder Uganda erblicken können, mitten im Kriegs- und Unruhengebiet.