Nächsten Sonntag, dem 22. April 2012, wird die erste Runde der französischen Präsidentschaftswahl eingeläutet. Die grosse Frage dabei ist, ob der Amtsträger Nicolas Sarkozy seinen Posten behalten kann oder von seinem sozialistischen Herausforderer François Hollande abgelöst wird. Die Umfragewerte sind eher nichtssagend.
10 Kandidaten erfüllen die Voraussetzung
Ingesamt kämpfen zehn Kandidaten um den Einsitz im Elysée-Palast zu Paris. Anfänglich hatten 20 Kandidaten Interesse gemeldet, doch nur deren zehn konnten die Voraussetzungen erfüllen. Diese besagen, dass bis zu einem gewissen Stichtag jeder Kandidat 500 Unterschriften von gewählten Mandatsträgern wie Abgeordneten oder Bürgermeister aufbringen muss. Der berühmteste Gescheiterte ist der ehemalige Regierungschef Dominique de Villepin, der 470 Signaturen sammeln konnten. Von den 10 Kandidaten, die sich auf das gesamte politische Spektrum von links- bis rechtsextrem verteilen, erlangen nur der Amtsträger Nicolas Sarkozy von der konservativen UMP, der Sozialist François Hollande und Marine Le Pen, Kandidatin des rechtspopulistischen Front National höchste mediale Aufmerksamkeit, ihnen werden auch die höchsten Chancen zum Reüssieren eingeräumt.
Ablauf der Wahl
Am 22. April sind alle wahlberechtigten französischen Bürgerinnen und Bürger zum Gang an die Urne aufgerufen. Sollte kein Kandidat das absolute Mehr im ersten Wahlgang erreichen, was bisher in der Fünften Französischen Republik stets der Fall war, so ziehen die beiden Kandidaten, welche die meisten Stimmen auf sich vereinen konnten, in eine Stichwahl ein, wo dann wie bei uns in zweiten Wahlgängen üblich derjenige gewinnt, der mehr Voten erhält. Diese Stichwahl ist auf den 6. Mai 2012 angelegt. 2007 setzte sich der UMP-Kandidat Nicolas Sarkozy in der Stichwahl gegen die Parti Socaliste-Kandidatin Segolène Royal (die Ex-Freundin des jetzigen PS-Kandidaten Hollande) durch, während es fünf Jahre zuvor zu einer faustdicken Überraschung kam: Gegen den amtierenden und für eine letzte Amtszeit kandidierenden Präsidenten Jacques Chirac (UMP) konnte der FN-Herausforderer Jean-Marie Le Pen, Marines Vater, in der Stichwahl antreten, weil er im ersten Wahlgang Platz 2 erreichte und unter anderem den damaligen Premierminister Lionel Jospin hinter sich liess. Bei der Stichwahl schwang dann der von allen Parteien ausser derjenigen Le Pens, der schon mehrere Male wegen rassistischer und judenfeindlichen Äusserungen verurteilt wurde, unterstützte Chirac mit über 82% obenauf.
Die meisten Wahllokale schliessen am Sonntag um 18 Uhr, in grösseren Städten aber erst um 20 Uhr, was auch als offizieller Starttermin für Bekanntgaben von Ergebnissen gilt. Wer das Ergebnis vor 20 Uhr publiziert, riskiert Geldstrafen von bis zu 75’000 Euro, nicht nur Online-Medien sind davon betroffen, sondern auch Private – also Blogger oder User von sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter. In Frankreich werden im Gegensatz zu den meisten Staaten der Welt keine Hochrechnungen tagsüber bekanntgegeben, die Informationssperre soll die Beeinflussung von Wählern, welche von ihrem Recht, bis 20 Uhr zu wählen, Gebrauch machen, verunmöglichen. Bei uns ist so eine Beeinflussung auch nicht möglich, aber nur, weil die Urnen bereits mittags schliessen und die Hochrechnungen auf Basis von bereits ausgezählten Stimmen gemacht werden. Im Zeitalter des Internets sorgt die französische Sperre aber für Gelächter, selbst Sarkozy würde über einer frühzeitigen Veröffentlichung nicht erbost reagieren, zudem wäre eine Verfolgung sinnlos, da beispielsweise 23 Millionen Franzosen bei Facebook registriert sind, während Twitter drei Millionen französische Mitglieder zählt. Auch andere frankophonen Staaten wie die Schweiz oder Belgien würden wohl bereits vor 19 Uhr erste Trends erreichen. Seit mehr als 30 Jahren ist es in Frankreich Tradition, an solchen Wahltagen um 20 Uhr den Fernseher einzuschalten, um das Resultat zu erfahren. Auch das Schweizer Fernsehen wird in einer Tagesschau Spezial um 19:55 auf SF 1 über den Wahlausgang in Frankreich berichten. Auch Cabo Ruivo wird via Facebook und Twitter das Wahlresultat bekannt geben, weiterführende Informationen auch über den genauen Abflauf einer allfälligen Stichwahl werden am darauffolgenden Tag folgen. Zudem sind alle Artikel zu den französischen Präsidentschaftswahlen unter http://france2012.caboruivo.ch abzurufen.
Die Umfragewerte bestimmen die Medien
Das grosse Thema in französischen Themen waren die Umfragewerte. Seit 2010 sahen diese einen Sozialisten als Sieger, ungeachtet des Kandidaten. Hollande wurde 2011 nach dem Sieg in PS-internen Vorwahlen, analog zu den USA, ins Rennen geschickt. Anfänglich sollte der damalige IWF-Chef und frühere Finanz- und Wirtschaftsminister der Regierung Lionel Jospin, Dominique Strauss-Kahn, für die PS ins Rennen steigen, jedoch machten ihm diverse selbstverschuldete juristische Probleme einen Strich durch die Rechnung.
Zeitweise sah es auch so aus, dass Marine Le Pen den Sprung in die Stichwahl schaffen konnte, so dass dem UMP-Kandidat – Sarkozy gab seine offizielle Teilnahme an der Wahl erst am 15. Februar 2012 bekannt – nur Platz drei blieb. Nach Bekanntgabe der UMP- und PS-Kandidaten wurde stets Hollande als Sieger aufgeführt, ohne jedoch das absolute Mehr zu erreichen. Auf Platz zwei folgte ihm durchgehend Nicolas Sarkozy, gefolgt von Marine Le Pen, dem Mitte-Politiker François Bayrou und dem Linken Jean-Luc Mélenchon. Die restlichen Kandidaten erreichten keine zweistellige Prozentzahl.
Zeitweise führte Hollande mit grossem Vorsprung, doch aufgrund des Attentäters von Toulouse und Montauban konnten die bürgerlich-konservativ-populistischen Parteien UMP und FN zulegen, da bei ihnen das Migrationsproblem zu den Wahlkampfthemen gehört. Seither schwanken die Prognosen je nach Umfrageinstitut – einige sehen Hollande als wahrscheinlicher Sieger, andere Sarkozy. Aus diesem Grund sind diese Werte kurz vor der Wahl als nichtssagend zu bezeichnen.
Tagesschau vom 17.04.2012
Die Tagesschau des Schweizer Fernsehens vom 17. April über die guten Umfragewerte Hollandes
Wahlkampfthemen
Grossen Wert im Wahlkampf geniessen die Themen und Wahlversprechen. Hollande hat beispielsweise angekündigt, den Anteil von Atomstrom in Frankreich von 75 auf 50 Prozent zu senken und das umstrittene weil alte und anfällige elsässische AKW Fessenheim nördlich von Basel sofort zu schliessen. Die PS und die französischen Grünen haben vertraglich vereinbart, dass bei einem Wahlsieg der PS bis 2025 24 Atomkraftwerke stillgelegt werden sollen. Im vergangenen September hat es in der südfranzösischen Atomanlage Marcoule in Languedoc-Roussilon nahe Nîmes einen Unfall gegeben, der europaweit für Aufsehen gesorgt hatte. Auch die Aufbereitungsanlage La Hague soll nach dem Willen der PS stillgelegt werden.
In der Innen- und Aussenpolitik steht die Migration im Vordergrund. Aufgrund des Status als frühere Kolonialmacht haben sich zahlreiche Einwanderer aus solchen Staaten wie Algerien in Frankreich niedergelassen. Im April 2011 kam es beispielsweise an der französisch-italienischen Grenze bei Menton/Ventimiglia zu einem Eklat, als der Staat einen mit tunesischen Immigranten gefüllten TER PACA-Regionalzug räumen liess, da diese via Italien eingereist sind und dort ein Schengen-Visa erhalten hatten, mit dem sie die Reise zu ihren Verwandten in Frankreich antreten wollten. Auch der algerischstämmige Attentäter von Montauban und Toulouse hat neuen Wind in die Angelegenheit gebracht, die Morde kamen in Sachen Umfragewerte vor allem Sarkozy und Le Pen zu Gute. Sarkozy wiederum droht Stimmen an die FN zu verlieren, die ihm jedoch bei einem allfälligen Einzug in die Stichwahl gegen Hollande wahrscheinlich wieder zufallen würden. Aufgrund dieser Sorgen hat sich Sarkozy zu populistischen Themen wie beispielsweise das Eheverbot für gleichgeschlechtliche Paare bekannt, was ihm aber von Seiten der Linken, den Sozialisten und der FN harsche Kritik entgegenbrachte. Vor allem Marine Le Pen hat in ihren Reden kurz vor der Wahl auf Sarkozy eingeschossen und seine Anliegen als unecht bezeichnet.
In der Wirtschafts- und Sozialpoltik sorgt vor allem Hollande für Aufmerksamkeit. Seine hohen Umfragewerte sind auf die Hoffnungen vieler Arbeitnehmer zurückzuführen, dass Stabilität eintreten würde. Durch ein scharfes Steuergesetz sollen Reiche mit bis zu 75% besteuert werden, die bisher durch Sarkozy entlastet wurden. Hollande rechnet mit Neueinnahmen von 29 Milliarden Euro, die in soziale Gerechtigkeit und Bildung investiert werden sollen.
Tagesschau vom 26.01.2012
Die Tagesschau des SF über das Wahlprogramm Hollandes
Sarkozy ist wohl der bisher unbeliebteste Präsident der Nachkriegszeit, ehemalige Weggefährten sprachen sich offen für Hollande aus, auch sein Vorgänger Jacques Chirac kündigte an, seinen Wahlzettel mit den Lettern François Hollande zu versehen, zumal beide ihre politischen Karrieren im mittelfranzösischen Kanton (hier ein Wahlkreis) Corrèze gestartet hatten – Hollande war bei einer Wahl damals übrigens Chirac unterlegen. Zudem ist der wegen illegaler Parteifinanzierung und Vetternwirtschaft zu seiner Zeit als Pariser Bürgermeister zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilte Chirac nicht gut auf seinen Nachfolger Sarkozy zu sprechen, da dieser bei den Präsidentschaftswahlen 1995 Chiracs parteiinternen Rivalen Édouard Balladur unterstützt hatte, was dazu führte, dass Chirac den politischen Aufstieg Sarkozys bremsen wollte.
Die Sozialisten ihrerseits stellten erst einen Staatspräsidenten, François Mitterrand amtete von 1981 bis 1995. Unter ihm und unter Chirac kam es zu Cohabitations, das heisst, das Staatspräsident und Regierungschef gegensätzlichen politischen Regierungen angehören. Unter dem Sozialisten Mitterrand waren die Bürgerlichen Édouad Balladur und Jacques Chirac Premierminister, als letzterer dann seine erste Amtszeit als Staatspräsident ausübte, amtete der Sozialist Lionel Jospin als Premier.
Und zum Schluss noch der Cabo Ruivo-Werbeclip anlässlich den Präsidentschaftswahlen 2012: