…zumindest wenn man seinem Fernseher alles glaubt. Gestern war nach langen Querelen der erste Schweizer Tatort seit zehn Jahren auf Sendung. Von den Zuschauerzahlen her war die Luzerner Franchise ziemlich erfolgreich, musste jedoch bei den Kritikern – allen voran denjenigen aus unserem nördlichen Nachbarland – einiges einstecken. Zu Recht?
Die Handlung begann am Stauwehr bei der Spreuerbrücke, wo eine Wasserleiche aus der Reuss gezogen wurde. Stefan Gubser, der hier seinen ersten Einsatz als Hauptermittler, aber bereits seinen vierten Tatort-Auftritt als Reto Flückiger – dreimal unterstützte dieser Eva Mattes in der Konstanzer Ausgabe – im deutschsprachigen Fernsehraum hatte, wollte gerade sein Segelboot im Vierwaldstättersee wassern, als ihn der Anruf ereilte. Samt Segelboot auf dem Anhänger raste der Neo-Kommissar mit dem Auto, notabene noch mit Thurgauer Nummernschilder ausgestattet, durch Luzern. Beim Reusswehr traf er zum ersten Mal auf seine amerikanische Co-Ermittlern mit Schweizer Wurzeln, gespielt von Ex-CSI-Miami-Schuss Sofia Milos. Zwischen den beiden entwickelte sich später eine Bettgeschichte, dieser ging ein typischer verlegener und komplizierter Krampfakt der Marke Swissness voraus – es gäbe einfachere Methoden um einen Mann ins Bett zu kriegen, vor allem mit Ihren Argumenten, Frau Milos…
Viele Zuschauer, aber ernüchternde Kritiken
In der Schweiz schalteten rund 720’000 Zuschauer um 20.05 SF1 ein, um Gubser bei der Verbrecherjagd zuzusehen. In Deutschland, wo die Filmreihe im Ersten (ARD) läuft, schauten knapp 7 Millionen zu, die Zahlen aus Österreich, wo der Tatort auf ORF2 zu sehen ist, betragen laut ORF-Teletext durchschnittlich 451’000, was einem Marktanteil von 23% entspricht. Dank dieser Quoten kann die Ausstrahlung als Erfolg gewertet werden, trotzdem gab es heute ein böses Erwachen. Bis auf die Frankfurter Allgemeine Zeitung – die im Rahmen der Steuereinigung sich noch über den Kavallerie-Einsatz gegen die Schweiz gefreut hatte, aber für den Luzerner Tatort milde Töne angeschlagen hatte, war sich die deutsche Presse im Zerreissen des Films einig: Die Bild-Zeitung holte wieder mal ihr gesamtes Portefeuille von niveaulosen Ausdrücken aus der Schublade, der Schweizer Tatort sei “Käse”, vermeldete sie. Auch der Spiegel, das auflagenstärkste Nachrichtenmagazin Deutschlands und von den Berichten bisher eigentlich ganz zurückhaltend, schlägt massiv über die Stränge: “Wer hats vergurkt? Die Schweizer!”
Etliche Querelen um den Film
Die Ausstrahlung war zunächst im April vorgesehen, doch dann zog das Schweizer Fernsehen den Film wegen “inhaltlichen Mängeln” zurück. Es wurde spekuliert, und die Verantwortlichen widersprachen sich selbst. Sofia Milos wurde sogar öffentlich als Fehlbesetzung angekreidet, dazu wurde dem Streifen zuviel Erotik vorgeworfen. Letzte Woche wurde es dann klar, wieso. Es mussten Anspielungen auf eine politische Partei entfernt werden, obwohl Gubsers Chef, gespielt von Andrea Zogg, den betreffenden Charakter als “am rechten Rand stehend” beschrieb. Dazu musste die Erotikszene gekürzt werden, Gubser durfte Milos nicht mehr an den Busen fassen und die Hochdeutsch-Synchronisation wurde nachgedreht, alles in allem fielen für das SF Zusatzkosten in der Höhe von 100’000 Franken an.
Meine Meinung
Zunächst möchte ich mal ein paar Worte an die lieben deutschen Zeitungen wenden: Immerhin haben wir keine Säufer oder andersweitige Krüppel als Ermittler und immerhin eine ansehliche Landschaft, von der Mister Schimanski in Duisburg nur träumen konnte. Vergurkt hat es das SRF überhaupt nicht, ich fand ihn überhaupt nicht schlecht. Ich bin überhaupt kein Tatort-Fan, habe in meinem bisherigen Leben nur etwa zwei oder drei der Filme gesehen, doch für Luzern machte ich eine Ausnahme. Als Action-Fan kam ich überraschenderweise voll auf meine Kosten, sogar den Ansatz einer Schiesserei und eine Prüglerei fanden den Weg ins Drehbuch. Eigentlich behaftet den Tatort ja ein Opa-Krimi-Image, was teilweise auch stimmt, man denke nur an Berti Vogts Cameo-Auftritt…
Lustig fand ich auch die Kritik der Deutschen, dass die Synchronisation “zu hochdeutsch” sei. Ach bitte Kinder, was soll das denn? Ausser im Schwarzwald und in Ostfriesland würde ja kaum einer einen Film in schweizerdeutscher Sprache verstehen. Und vom “Emil-Deutsch“, mit dem man die Schweizer in deutschen Filmen “ehrt”, sind wir nicht besonders angetan. “Wollen Sie einen Gumel essen? Ja, aber sauft doch!” oder was?
Lange Rede, kurzer Sinn: Mir gefiel der Streifen, auch wenn es “nur” ein Fernsehfilm war. Den nächsten Luzerner Tatort, der übrigens schon abgedreht sei, werde ich mir bestimmt ansehen. Die Dreharbeiten haben nebst in der Stadt Luzern auch in Gersau/SZ stattgefunden. Für den dritten Film hätte ich jedoch einen Vorschlag für neue Schauplätze: Der Urnersee wäre eine Top-Location und würde allen bösen Zungen aufgrund der atemberaubenden Bergwelt ein erstauntes Schweigen auferlegen.
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