Risiko: Ein Begriff prägt unser Leben

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Risiko – unter diesem Titel startete Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) ein trimedialer Schwerpunkt in den Bereichen Fernsehen, Radio und Internet. Doch was ist Risiko? Vor was haben die meisten Leute Angst? Eine Studie der ETH Zürich soll Klarheit in diese Angelegenheit bringen. Risiko ist ein Begriff, der unser Leben prägt. Er entscheidet über Gewinn oder Verlust, über Leben und Tod. Interessant ist, dass die Wahrnehmung des Menschen mit der tatsächlichen Gefahr nicht übereinstimmt.

Risko – ein weitläufiger Begriff

Der Mensch liebst das Risiko: Extremsportarten sind in ihrer Beliebtheit ungebremst (Symbolbild: Boulderanlage an der ETH Hönggerberg)
Der Mensch liebst das Risiko: Extremsportarten sind in ihrer Beliebtheit ungebremst (Symbolbild: Boulderanlage an der ETH Hönggerberg)
Risko bedeutet vieles. Nicht damit gemeint ist die langjährige Montagabendkiste gleichen Namens von Gabriela Amgarten, von der die Leute maximal noch den Betrügereien entlarvenden Satz Das isch de Fuessballer Moldovan gsi im Gedächtnis haben, sondern die Abschätzung, zu wie viel Prozent Wahrscheinlichkeit Erfolg eintrifft oder nicht. Erfolg ist genauso weit verstreut: Entweder der Gewinn bei einer Lotterie oder das Überleben einer Freeride-Skitour. Bei allen Tätigkeiten schwingt ein Risiko mit: Verliere ich alles Geld, komme ich beim Ausüben dieser Sportart ums Leben – oder ganz banal: Verpasse ich den Bus, wenn ich mir die Zähne putze?
Ein risikofreudiger Mensch macht sich über solche statistischen Zahlen keine Gedanken, meist springt er Hals über Kopf ins Abenteuer. Der zaghafte Denker wiederum analysiert das Geschehen samt Risiken und legt sich Strategien zurecht, beispielsweise wie gewinne ich beim Roulette das meiste Geld. Spiele sind meistens nicht ideal, in der Lotterie gewinnt ohnehin immer der Gegner, sprich, die Lotteriegesellschaft oder das Casino. Die erwartete Gewinnsumme ist genau festgelegt. Der grösste Fehler begeht jeweils ein Risikofreudiger, wenn er von seiner Strategie abweicht, denn jedes Spiel weist ein sogenanntes Nash-Gleichgewicht auf, benannt nach dem Mathematiker und Nobelpreisträger John Forbes Nash Jr. (* 1928), dessen Arbeiten im Bereich der Spieltheorie und der partiellen Differentialrechnung gegenüber seiner im Spielfilm A beautiful mind portraitierten Schizophrenieerkrankung in den Hintergrund geraten. Bei einem Nash-Gleichgewicht gibt es für keinen Spieler einen Anreiz, seine Strategie zu ändern, um zu reüssieren.

Was macht den Leuten am meisten Angst?

Grundlegend für den trimedialen SRF-Schwerpunkt war eine Studie, welche die Rundfunkanstalt gemeinsam mit der ETH Zürich ins Leben rief. Studienleiter Andreas Diekmann, Professor für Soziologie an der ETH Zürich, den meisten ETH-Studenten als Dozent der Spieltheorievorlesung bekannt, und seine Doktorandin Heidi Bruderer Enzler haben das Volk in einer repräsentativen Umfrage befragt, was denn ihre grösste Sorge sei. Im Gegensatz zu früheren Studien landete ein überraschender Angstfaktor auf dem ersten Platz: 61 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer stufen ein Atomkraftwerk als sehr oder extrem gefährlich ein – die Atomkatastrophe von Fukushima oder auch die Störfälle in den französischen AKW Fessenheim und Marcoule beeinflusst die Leute wohl mehr als die Schnorrer von den Energiekonzernen, welche die längst fällige Energiewende um jeden Preis verhinden wollen. Auf dem zweiten Platz ist mit 55 Prozent der Terrorismus zu finden, knapp dahinter vollenden mit 53 Prozent gentechnisch veränderte Lebensmittel das Podest. Überraschend wenig Besorgnis lösen schleichende Gefahren aus, so beispielsweise antibiotikaresistente Keime in Spitälern oder die Luftverschmutzung durch Autoabgase, vor allem letzterer Punkt wird kaum wahrgenommen, da viele Leute selbst Auto fahren. Dass Fliegen sicherer als Autofahren ist, mag im Bewusstsein der Menschen kaum ankommen, da die Anzahl Todesopfer bei einem einzigen Ereignis in der Aviatik viel höher ist – die Gründe sollten wohl bekannt sein – dasselbe gilt auch für die Eisenbahn. Was haben die Medien – insbesondere solche des Boulevardspektrums – nach den Zugunglücken von Santiago de Compostela und Granges-près-Marnand gross über die mangelnde Sicherheit der Bahn geschrieben, aber ausser Betracht gelassen, das in den Tagen dieser beiden Zugunfällen im Strassenverkehr mindestens genauso viele Menschen zu Schaden gekommen sind. Aber weil die Opferzahlen eines Flugzeug- oder Eisenbahnunglückes ungleich höher sind als bei einem Unfall im Strassenverkehr, ist die mediale Aufmerksamkeit dementsprechend auch grösser.
Die Ergebnisse der SRF/ETH-Umfrage stellt Prof. Andreas Diekmann im Rahmen der Scientifica-Wissenschaftstage der ETH Zürich und der Universität Zürich am 1. September 2013 zwischen 13:00 und 13:45 im ETH Zentrum HG E3 vor.

Wovor haben Sie Angst? – Die SRF/ETH-Umfrage in 10vor10

Religion als Gefahr?

Eine nicht zu unterschätzende Gefahr geht auch von Religionen aus. Der Terrorismus wird bereits in den meisten Fällen mit fanatischen Islamisten in Verbindung gebracht, aber auch hinter Schweizer Mauern spielen sich womöglich gefährliche Szenen ab, ein Tabu in der Gesellschaft. Die fünfte Folge des Luzerner Tatorts beispielsweise, Geburtstagskind, handelte von einem Mord vor dem Hintergrund einer (fiktiven) christlichen Sekte. Die Muster sind immer dieselben, nur wer den Taten und Worten des Anführers mit voller Hingabe folgt, wird auf irgend einem Stern wiedergeboren. Trauriger Höhepunkt waren die Sonnentempler-Massenmorde in den Kantonen Fribourg und Wallis im Jahre 1994. Selbst das nähere Umfeld der Opfer bekam von der Sektentätigkeit kaum etwas mit.
Jüngere Beispiele zeigen, dass man schnell in die Fänge einer Sekte gerät, das Herauszwängen aber umso schwieriger ist.

Was bringt die Zukunft?

Nebst den obig genannten Gefahren existieren noch weitere, auch solche, die mit ihnen in Zusammenhang stehen. Was passiert mit den radioaktiven Abfällen? Eine Mehrheit der Bevölkerung steht offenbar den Atomkraftwerken kritisch gegenüber, nichtsdestotrotz geniessen sie immer noch grossen Rückhalt bei denen, die lieber von Kernkraftwerken (KKW) sprechen – aber sobald es um die radioaktiven Abfälle geht, wollen auch die AKW-Liebhaber nichts davon wissen, den Müll in ihrem Garten eingegraben zu sehen. Die früher ausgeführte Praxis mit der Meerentsorgung kann in der heutigen Zeit nicht mehr unbemerkt praktiziert werden.
Welche Folgen bringt der Klimawandel mit sich? Unwetter häufen sich, sogenannte Jahrhundertstürme treten im Abstand nunmehr weniger Jahre auf, wie die Beispiele Lothar und Kyrill zeigen.
Die Zeiten eines Kalten Krieges sind zwar vorbei, atomare Abrüstungen wurden jedoch nur offiziell vereinbart – wer überwacht, ob die Sprengköpfe tatsächlich vernichtet werden? Kriegsführung wird anders betrieben, der mutmassliche Giftgasangriff des Assad-Regimes auf Rebellen in Syrien ist nur ein neuer Höhepunkt einer unendlichen Geschichte, die kein Ende finden wird.
Nicht zu vergessen, die Freiheit des Menschen. Die NSA machte es mit ihrem PRISM-Programm vor und zeigt gleichzeitig auf, dass der Freiheitsbegriff relativ ist. Die Staaten haben ihre Einwohner unter Kontrolle. Die Fichenaffäre in der Schweiz löste anfangs der 1990er-Jahre zwar Kopfschütteln aus, doch mit dem Sammeln über Akten wird der Staat wohl kaum aufgehört haben.

Der SRF-Schwerpunkt Risiko

Die deutschsprachige SRG-Unterorganisation Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) widmet dem Thema Risiko ein mehrtägiger Schwerpunkt auf allen drei Kanälen: Im Fernsehen, im Radio und im Internet laufen Sendungen oder werden Artikel zum weitläufigen Begriff des Risikos verfasst. Auch Spiel- und Dokumentarfilme werden ins Programm eingebunden, so beispielsweise Oliver Stones Wall Street 2: Money never sleeps mit Michael Douglas in der Hauptrolle, der über einen illegalen Hochseilakt zwischen den beiden Türmen des am 11. September 2001 bei den Terroranschlägen zerstörten World Trade Centers in New York handelnden Dokumentarfilms Man on wire oder Enemy of the state, ein aus dem Jahre 1998 stammender Actionthriller mit Will Smith und Gene Hackman als Protagonisten, der just die Überwachung durch die NSA als Thema aufweist. Auch die Nachrichtensendungen Tagesschau und 10vor10 greifen das Thema auf, vor allem mit Einbezug der SRF/ETH-Umfrage.
Als Höhepunkt des Themenschwerpunkts gilt vielleicht die am 29. August 2013 um 20:05 auf SRF 1 auf dem Programm stehende DOK-Sendung Restrisko – Reise durch eine gefährliche Welt: Die Sendung begleitet einerseits das für die Risikoabwehr an der Gotthardbahn zuständige Team, und zeigt andererseits mögliche Gefahren entlang des Vierwaldstättersees auf und erklärt beispielsweise die Ursachen für den 1601 dokumentierten Tsunami in Luzern.
Nicht nur das SRF steht im Zeichen des Risikos, sondern auch die Scientifica-Wissenschaftstage der ETH Zürich und der Universität Zürich. Am Wochenende des 31. August/1. September 2013 werden zahlreiche Ausstellungen und Kurzvorlesungen zum Thema Risiko über die Bühne gehen. Nebst der Ergebnisvorstellung der SRF/ETH-Umfrage, werden auch Fragen zur Vorhersage von Erdbeben oder zum Risiko, an Krebs zu erkranken, beantwortet.

Links

  • Webseite der Professur für Soziologie an der ETH Zürich über die Risikostudieh
  • Übersichtsseite des SRF-Themenschwerpunktes Risiko
  • Warum Risikoverhalten und -wahrnehmung untersuchen? – Erklärung der Studienleiter Andreas Diekmann und Heidi Bruderer Enzler zur Wichtigkeit der SRF/ETH-Risikostudie
  • Programmhinweis der Scientifica-Wissenschaftstage der ETH Zürich und der Universität Zürich zur Vorstellung der Untersuchungsergebnisse durch Andreas Diekmann
  • Webseite der Scientifica 2013
  • Sendungsübersicht zum SRF-Thema Risiko
  • Wovor haben Sie Angst? – Erste Resultate der SRF/ETH-Umfrage
  • Die fünf Risikotypen
  • Meinung des Historikers Raffael Fischer zum Ergebnis der Umfrage
  • Portrait von Andreas Diekmann des soziologischen Instituts der ETH Zürich
  • Lageplan des Hörsaals E3 im ETH-Hauptgebäude