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Adonis-Komplex: Wieso Männer ins Fitnessstudio rennen

In den letzten Tagen wurden diverse Medien auf ein Phänomen aufmerksam, dass sich schon längst in unserer Gesellschaft verankert hat: Nicht mehr nur Frauen unterliegen dem Schönheitswahn, sondern auch Männer rennen den Fitnessstudios die Bude ein. Wieso das Gespött der Medien ungerecht ist und sich genau diese der Mitverantwortlichkeit stellen müssen, ist der zentrale Punkt des Problems.

Gardemasse als Traumziel

Adonis-Komplex: wenn nur noch Hanteln und Gewichte das Selbstbewusstsein stärken

Der Boom der Fitnesscenters erreichte Europa in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Vorbilder gingen in den USA ihrer Tätigkeit nach: Arnold Schwarzenegger und Sylvester Stallone eroberten die Kinos im Laufmeter und avancierten zum Vorbild mancher Männer. Dass insbesondere die beiden Exponenten auch illegale Mittel zum Wachstum verwendet haben, wurde erst später publik, als sie die gesundheitlichen Auswirkungen zu spüren begannen.
Seither wird die Zielvorstellung des männlichen Körpers von Idealen dominiert: Bierbauch ade, dafür sollen möglichst alle Bauchmuskeln gut sichtbar sein, auch die Hühnerbrust ist passé, stattdessen muss man nun den BH der Partnerin ausfüllen können, freilich mit Muskeln und nicht mit Fett oder ähnlichen Ablagerungen.
Dieser Kräftewahn ist altbekannt, die österreichische Rockband Erste Allgemeine Verunsicherung widmete ihm gar ein Lied: An der Copacabana, natürlich nicht ohne den satirischen Unterton, den man von Klaus Eberhartinger und Co. gewöhnt ist.
An der Copacabana von E.A.V.

Narzissmus: Krankheit oder schlechte Eigenschaft?

Die Legende um Narziss handelt von einem jungen Mann, der in sein Spiegelbild verliebt war und es fortwährend beobachtete, in dem er sich im Fluss begutachtete. Natürlich nur so lange, bis er einmal das Übergewicht erlangt und in den tosenden Fluten versinkt.
Davon abgeleitet ist der Begriff des Narzissmus, der grenzenlosen Selbstverliebtheit und den Drang, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Abweisungen sind schwer zu ertragen, man strotzt vor Schönheitswahn und Eitelkeit. Es ist nahezu selbstverständlich, dass sich Narzissten in der Gesellschaft nicht gerade beliebt machen, doch meistens ist die Sache hintergründiger: Wieso will man um jeden Preis diese Aufmerksamkeit erlangen?
Oftmals ist es so, dass so persönliche Defizite gedeckt werden und man dick aufträgt, um vor den Mitmenschen keine Schwachstelle erkennen zu lassen.
So bald man Schwächen zugibt, ist man ein Weichei – dies hat die Menschheit bis heute nicht begriffen. Wieso enden viele Depressionserkrankungen mit dem Suizid, weil die Betroffenen keinen Mut gehabt haben, offen über ihre Krankheit zu sprechen?
Narzissten haben oftmals auch eine Vergangenheit, welche sich auf ihren Charakter ausgewirkt haben: Oftmals schindet derjenige, der während seiner Kindheit wegen seines schmächtigen Körperbaus gehänselt wurde, heute Stunden an den Kraftmaschinen, um ja nicht mehr in Gefahr dieses Spottes zu gelangen oder auch um es den anderen zu zeigen, dass der Spargeltarzan von früher eher der Herkules von heute ist. Das heutige grossspurige Auftreten und die Einbildung, dass man seinem Umfeld überlegen ist, fusst auch in der Vergangenheit: War man früher stets der Nichtsnutz oder Unglücksrabe, oder fehlt einem ganz einfach Liebe und Zuneigung? Dies wissen meist nur die Betroffenen selbst – und trauen sich nicht, es einzugestehen.
Fakt ist nur: Nicht umsonst besitzt Eitelkeit noch eine zweite Nebenbedeutung: Vergänglichkeit. Ist dann des Narzissen Glanz einmal erloschen, wird das grosse Auswirkungen auf seine Psyche haben.

Das Schinden im Kraftraum wird auch bei Jüngeren immer beliebter

Nahezu täglich Gewichte im Kraftraum stemmen und penibel auf die Ernährung achten – zwei Eigenschaften, die auf den Adonis-Komplex hinweisen. Der Gang ins Fitnessstudio wird auch bei jüngeren immer beliebter: Selbst Vierzehnjährige wagen sich an die Hanteln, auch wenn es erwiesen ist, dass sich dies bei ihrem noch nicht ausgewachsenen Körperbau eher negativ auswirkt.
Auch die Einnahme von Zusatzstoffen erfreut sich immer grösserer Popularität, was weitaus besorgnisserregender ist. Sind Proteinshakes noch eine vertretbare Ergänzung, haben Steroide wie Anabolika massive Gesundheitsschädigungen zur Auswirkung. Krebs und Herzkrankheiten sind nur zwei der häufigsten späteren Nebenwirkungen. Nicht viele dieser Stoffe werden zudem auch illegal produziert und verbreitet.
Die Psychologie und die Medizin kennt den Fachbegriff Muskeldysmorphie als Störung des Selbstbilds, so dass man sich beispielsweise immer zu schmächtig und zu dünn findet, selbst wenn man intensivstes Bodybuilding betreibt. Besonders geprägt und salonfähig gemacht wurde der Begriff Adonis-Komplex von an der Universität Harvard tätigen Professor Harrison G. Pope, der Forschungen in diesem Bereich unternahm.
Auch in der Ernährung kommt es zu Veränderungen: Kalorienzählen ist nun auch beim männlichen Geschlecht attraktiv. Genehmigt man sich ungesundes Essen, beispielsweise einen Burger, führt das schlechte Gewissen danach zu umso härterem Training, was wiederum die Verletzungsgefahr steigern lässt.

Die Rolle der Medien

Just den Medien, die nun ausführlich über den Adonis-Komplex berichten und die Betroffenen indirekt dafür kritisieren, ist auch ein Teil der Mitverantwortung zuzuschieben. Wird doch das Weltbild der heutigen Gesellschaft von Bildern und Filmen dominiert, in denen nahezu ausschliesslich durchtrainierte Männer auftauchen. Sollte mal dazwischen einer mit Bierbauch auftreten, hat er offensichtlich den Status einer Witzfigur inne.
Manch Mann versucht, durch einen Schönheitswahn der Frau zu imponieren, da diese offensichtlich nicht die Bierbäuche anhimmelt, was aus ästhetischen Gründen durchaus nachvollziehbar ist. Aus demselben Grund hat ja bereits vor geraumer Zeit bei Frauen dieser Schönheitswahn eingesetzt, welcher im Tiefpunkt Magersucht/Bulimie gipfelt.
Die Medien sollen sich einer gewissen Selbstgeisselung unterziehen, denn die Gesellschaft wird durch sie beeinflusst.
Jedoch muss man diesem Wahn auch etwas zu Gute halten: Sport zu treiben ist sicherlich eine bessere Freizeitbeschäftigung, als Stunden mit Computer-Games zu verbringen.

Weblinks

  • Adonis-Komplex: Süchtig nach Muskeln – aus FOCUS Online
  • 100 Sekunden Wissen von Radio SRF über den Adonis-Komplex (MP3-Datei)
  • Adonis-Komplex – zwanghafte Eitelkeit – aus netdoktor.at
  • Test: Sind Sie süchtig nach Muskeln?
  • Männer: Muskelwahn wird zur Muskelsucht – aus SPIEGEL ONLINE
  • Forscher: Muskelsucht als Krankheitssyndrom – aus ORF Science
  • Machismo nervosa – BlogMag des Tages-Anzeigers