Ein Symbol der Vergangenheit als Staatsoberhaupt

Deutschland Geschichte Gesellschaft Magazin Politik

Deutschland hat einen neuen Bundespräsidenten: Der von einer breiten Parteibasis aus Regierung und Opposition unterstützte parteilose Theologe Dr. Joachim Gauck wurde bereits im ersten Wahlgang als neues Staatsoberhaupt gewählt. Mit Gauck hat die Bundesrepublik ein Symbol der Geschichte gewählt, war der in Rostock geborene zu DDR-Zeiten als Bürgerrechtler aktiv. Das Amt des Bundespräsidenten soll mit seinem neuen Träger wieder die Funktion eines moralischen und ethischen Vorbildes haben – eine Position, die ein Staatsoberhaupt innehaben muss. Die Schweiz kann beispielsweise von der Wahl Gaucks viel lernen.

Die Vergangenheit hält wieder Einzug
Manchmal hat man in Deutschland das Gefühl, dass die unangenehme Vergangenheit oftmals verdeckt wird. Es wird versucht, die Zeiten des Nationalsozialismus und der kommunistischen Diktatur in der DDR vergessen zu machen, weil man weiss, dass dies eigene Landsleute verschuldet haben. Es gibt jedoch Ereignisse, die unter diesem Mantel hervorbrechen und ihre schreckliche Wirkung entfalten, als jüngstes Beispiel die Neonazi-Mordserie, in die gar der Verfassungsschutz Thüringens involviert ist. Erst seither wird über ein Verbot der rechtsextremen NPD, die am heutigen Wahltag einen eigenen Kandidaten aufgestellt hatte, diskutiert. Mit Dr. Joachim Gauck wird nun auch das Zeitalter der DDR wieder präsent, denn der 72-jährige agierte als Bürgerrechtler und wurde am Tag der Wiedervereinigung als Vorsitzender der Stasi-Unterlagen-Behörde eingesetzt, der einerseits Spitzel des Ministeriums für Staatssicherheit enttarnte und andererseits den Bürgern der ehemaligen DDR die Gelegenheit gab, die Akten einzusehen, welche die Stasi über die eigene Person angelegt hatte. Gauck ist auch Präsident des Vereins Gegen Vergessen – für Demokratie, der sich für die Aufklärung und Aufarbeiten der NSDAP- und SED-Diktaturen einsetzt. Mit seiner Ernennung zum Staatsoberhaupt besteht vielleicht die Hoffnung, dass sich Deutschland zunächst mal mit der eigenen Vergangenheit und den eigenen Fehlern (die NSDAP wurde ja vom Volk gewählt) beschäftigt, bevor sie anderen Ländern ihre Fehler aufzeigt oder auf diese Druck ausüben soll. Insofern ist der deutsche Staat zu loben, indem sie eine Person gewählt hat, die ohne grossen medialen Pomp Worten Taten folgen liess, als eine, die nur mit grossen Sprüchen auftrumpft wie beispielsweise der designierte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, der am liebsten seine Kavallerie in die Schweiz entsenden möchte. Wie wurde Barack Obama vor seiner Wahl zum US-Präsidenten als Hoffnungsträger und Messias gelobt, nur um drei Jahre danach in tiefster Resignation festzustellen zu müssen, dass seine Taten vielmehr leere Worte sind, denn es ist, vor allem in einem republikanisch dominierten Kongress, halt doch nicht so einfach, Beschlüsse in Kraft treten zu lassen.
Gaucks Wahl war erwartet worden, wurde der Parteilose doch von CDU, CSU, FDP, SPD und den Grünen unterstützt, seltene Eintracht zwischen Regierung und Opposition also. Die Union stimmte der Empfehlung allerdings nicht gerade freiwillig zu, gilt doch das Verhältnis zwischen Gauck und Kanzlerin Angela Merkel als schwierig. Was vor allem bei konservativen Kreisen für Unmut sorgt, ist Gaucks Zivilstand. Er ist zwar verheiratet, aber getrennt und lebt mit seiner Lebensgefährtin in wilder Ehe. Zwei Jahre zuvor unterlag der damals nur von SPD und Grüne unterstützte Gauck noch dem CDU-Politiker Christian Wulff, der nach diversen Affären seinen Hut nehmen musste.
Gaucks oberstes Ziel ist die Freiheit für den Bürger, doch soll dieser auch Verantwortung übernehmen, um dieses Ziel zu erreichen. Gauck wird zukünftig mit seinen Ansichten bei gewissen Leuten anecken, jedoch ist ein Präsident, der offen zu seiner Meinung steht, wichtiger als einer, der stets die Worte anderer nachplappert.
Gauck schaffte die Wahl problemlos, mit 991 der 1228 gültigen Stimmen überbot er das absolute Mehr von 621 Voten bei Weitem.
Die Linkspartei, Rechtsnachfolgerin der SED und deshalb nicht gerade grün mit Gauck, stellte mit der Journalistin Beate Klarsfeld eine Gegenkandidatin auf, die sich ebenfalls mit der deutschen Geschichte auseinandergesetzt hat. Die wie Gauck ebenfalls parteilose Klarsfeld agierte als Nazijägerin, so spürte sie unter anderem den nach Bolivien geflüchteten NS-Verbrecher Klaus Barbie auf und sorgte dafür, dass dieser vor Gericht kommt. Von linker Seite wurde oftmals das Bundesverdienstkreuz für die 73-jährige gefordert, was nicht erwidert wurde, da Klarsfeld höchst umstritten ist. 1968 sorgte sie mit ihren Aktionen gegen den damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger für Aufsehen und gleichermassen für einen Eklat, da sie ihn wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft ohrfeigte. Der für die CDU politisierende Kiesinger war weniger überzeugter Anhänger der Nazionalsozialisten gewesen, sondern vielmehr eine Mitläuferfigur. Seit dieser Aktion halten sich hartnäckige Gerüchte, dass Klarsfeld für diese Aktion von der DDR-Regierung beauftragt und unterstützt wurde. Ein Bericht der Welt besagt, dass ihr nach der Ohrfeige von DDR-Seite her 2000 Mark für ähnliche Aktionen geboten worden seien.
Auch die rechtsextreme NPD stelle einen Kandidaten auf, Olaf Rose konnte aber nur die drei Stimmen der eigenen Wahlmänner auf sich vereinen, während auf Klarsfeld 126 Stimmen entfielen. Das zeigt, dass dieser Teil des parteipolitischen Spektrums eigentlich nichts zu suchen hat. Der erste Punkt, wo die Schweiz lernen kann: Zwar ist die PNOS (offiziell) verboten, hat trotzdem aber einige Ämter in Exekutiven und Legislativen von Städten und Gemeinden inne, zudem politisieren Personen mit gleichen Ansichten in legalen Parteien.

Was ist die Aufgabe des Bundespräsidenten?

Hier ging die Wahl über die Bühne: Reichstag Berlin
Primäre Aufgabe des deutschen Bundespräsidenten ist diejenige des Staatsoberhaupts, also vor allem bei Empfängen präsent zu sein. Das politische Tagesgeschäft überlässt er der Regierung mit dem Kanzler beziehungsweise der Kanzlerin als deren Vorsitzende(r). Jedes von der Regierung ausgearbeitete Gesetz muss vor dem Inkrafttreten dem Bundespräsidenten vorgelegt werden, da dieser seine Zustimmung geben muss. Macht er von seinem Vetorecht gebraucht, muss die Vorlage überarbeitet werden. Zudem ernennt und entlässt er Kanzler wie Minister.
In zweiter Linie soll der Posten auch als moralisches Vorbild für die deutsche Bevölkerung stehen. Sein Wort hat schlicht und einfach Gewicht.
Dass der Bundespräsident nur eine relativ geringe politische Macht hat, basiert auf einer aus der Weimarer Republik gezogenen Lehre. Damals hatte der Reichspräsident einen grösseren Machtbereich inne und konnte mit dem Einsetzen von Notverordnungen glatt den Reichstag ausschalten. Paul von Hindenburg änderte die Gesetze so, dass er am Schluss über absolute Macht verfügte und ihm deshalb kein Gegenwind ins Gesicht wehte, als er – bereits 86 Jahre alt und senil – 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernennte. Nach Hindenburgs Tod im folgenden Jahr vereinte Hitler die Posten von Reichspräsident und Reichskanzler in seiner eigenen Person.

Symbolkraft des heutigen Datums
Der 18. März markiert in gleich zwei Punkten der deutschen Geschichte Meilensteine. Im Jahre 1848 begann die Märzrevolution, welche den Weg zu einem Gesamtstaat Deutschlands bahnte. Am 18- März 1990 wiederum fanden die ersten freien Wahlen der DDR-Volkskammer statt. Joachim Gauck, der bei den damaligen Wahlen ein Mandat als Abgeordneter der Partei Bündnis 90 erringen konnte, nahm in seiner Rede nach der Wahl Bezug auf diesen Tag, da dieser für ihn den Inbegriff für Freiheit sei. Erstmals seit 41 Jahren konnten die ostdeutschen Bürger wieder frei wählen.

Wie die Schweiz von Gaucks Wahl lernen kann
Auch wenn wir kein Staatsoberhaupt im eigentlichen Sinne aufweisen können, kann die Schweiz trotzdem von der Wahl Gaucks lernen. Bundesratswahlen sind seit geraumer Zeit nur noch Parteiwahlen, starke Führungspersönlichkeiten sucht man in unserer Landesregierung vergebens, sie ist vollends zum Spielball der Parteien geworden. Es erscheint wichtiger, dass alle Parteien nach ihrer Stärke vertreten sind, als dass Personen Einsitz haben, die gerne mal den Takt vorgeben. Moralische Vorbilder sind die Bundesräte bei weitem nicht, zudem sind einige für das Amt gar nicht fähig: Ueli Maurer macht Kirchturmpolitik in Sachen Armee, Johann Schneider-Ammann ist stets auf der Suche nach dem Ende des angefangenen Satzes und Doris Leuthard macht lieber grosse Augen statt sich um wichtige Sachgeschäfte im UVEK zu kümmern.
Vielleicht wäre es nicht unbedingt die dümmste Idee, das Amt des Bundespräsidenten beziehungsweise der Bundespräsidentin nicht alle Jahre zu wechseln – oder diesen Posten gar ausserhalb des Bundesrates anzusiedeln.
Die Schweiz hätte eine Person nötig, die als moralisches Vorbild dienen soll und auch unsere Vergangenheit, die weiss Gott nicht so glorreich war, wie unseren Schulkindern immer ins Hirn geflötet wird. Im Zweiten Weltkrieg beschmutzte auch unser Land seine Hände, auch wenn ich es äusserst bedenklich finde, wenn aus Deutschland Stimmen laut werden, welche den Raubgoldskandal gross ausbreiten und die ganze Angelegenheit so darstellen, als wäre die Schweiz die Hauptschuldige am Zweiten Weltkrieg. Zudem hat die ach so gelobte Réduit-Strategie mit General Henri Guisan für mich eher den Anschein von Feigheit als von Heldenmut, wie das stets propagiert wird.
Lange Rede, kurzer Sinn: Es wäre eine Person vonnöten, welche die Aufarbeitung der Geschichte in Angriff nehmen würde.

2 thoughts on “Ein Symbol der Vergangenheit als Staatsoberhaupt

Comments are closed.