Schwyzer Justizstreit: Ziegler wird Vertrauen entzogen

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Der seit Jahren schwelende Konflikt im Schwyzer Justizwesen hat erste personelle Konsequenzen gefordert. Nach einer Anhörung beschliesst die Justizkommission des Kantonsrates, den wegen der Spionageaffäre unter Beschuss geratene Kantonsratspräsident Martin Ziegler nicht mehr zur Wiederwahl zu empfehlen. Derweil droht dem amtierenden Sicherheitsdirektor Peter Reuteler Ungemach wegen Amtsgeheimnisverletzung, da er sich gegenüber der SF-Sendung Schweiz aktuell über angeblich vertrauliche Angelegenheiten geäussert habe.
Nichtsdestotrotz steht Ziegler unter Beschuss, nicht nur wegen der Verweigerung von Herausrücken von Handydaten in den Mordfällen Lucie und Boi, sondern weil dank einer seiner Entscheidungen ein Kinderschänder im selben Haus wie sein Opfer wohnen darf.

Vertrauensentzug für Martin Ziegler
Die Anhörung fand heute Donnerstag im Zivlischutzzentrum im Kaltbach an der Schlagstrasse in Schwyz statt, wo Ziegler zu den am Dienstag publik gewordenen Bespitzelungen der Staatswanwaltschaft gegenüber der Rechts- und Justizkommision des Schwyzer Nationalrats Stellung nehmen musste. Nach der Sitzung stand für die Kommission fest, dass Ziegler bei den Wahlen im Juni keinesfalls mehr im Amt bestätigt werden sollte. Die Stelle würde öffentlich ausgeschrieben, hiess es. Die Glaubwürdigkeit der Schwyzer Justiz habe in besagten Falle arg gelitten. Wie soll die Judikative noch für Zucht und Ordnung sorgen, wenn nicht mal der oberste dieser Herren die Schweizer Grundrechte, vor allem dasjenige auf Privatsphäre, befolgt?
Das letzte Wort wird der Kantonsrat bei den Wahlen im Juni haben, denn er ist dasjenige Gremium, dass den Kantonsgerichtspräsidenten wählt. Jedoch verfügt keine Behörde, weder der Kantons-, noch der Regierungsrat über die Befugnis, einen Kantonsgerichtspräsidenten während seiner Amtszeit aus dem Amt zu werfen, so dass Ziegler seine Tätigkeiten sicherlich noch bis Juni ausführen wird.

Ziegler wollte Macht ausüben
Die Telefonaffäre oder auch die Verweigerung der Datenausgabe sind klare Fälle einer besonderen Vorgehensweise. Die Justiz kennt dafür einen Begriff, Dezisionismus. Sie besagt, dass nicht der Inhalt der Entscheidung wichtig ist, sondern die Entscheidung an sich. So wird nicht nach moralischen Grundsätzen gehandelt, sondern nach eigenen Überlegungen. Gut veranschaulicht wird das Problem durch folgendes Zitat von Wilhelm von Ockham: Das Gute ist das Gute, weil Gott es in seiner Allmacht so wollte. Er hätte auch anders entscheiden können, sonst wäre er nicht allmächtig. Ziegler hat in den Fällen aus reiner Macht- und Rachegier gehandelt. Weil er mal mit der Staatsanwaltschaft in einer unbekannten Angelegenheit uneins war, wollte er ihr in den Mordfällen Lucie und Boi eins auswischen. Hauptsache, Gier befriedigt – dass diese Vorgehensweise Menschenleben gefordert hat, scheint ihn nicht zu interessieren. Dasselbe verhält sich bei der Abhöraffäre: Unter dem Vorwand, einen Maulwurf zu ermitteln, wollte Ziegler absolute Kontrolle über die Staatsanwälte, damit diese ihm nicht gefährlich werden könnten.

Reuteler soll das Amtsgeheimnis verletzt haben
Letzten Dienstag wandte sich der bei den diesjährigen Regierungsratswahlen nicht mehr antretende sicherheitsdirektor Peter Reuteler an Schweiz aktuell, in dem er sagte, dass die Schwyzer Kantonsregierung von der Beschaffung der Telefondaten für Ziegler gewusst habe. Als er in der ganzen Geschichte reinen Tisch machen wollte, sei er von seinem Amtskollegen daran gehindert worden.
Reuteler hat durch seinen Medienauftritt eine neue Wendung in den Konflikt gebracht und ohne die Aufdeckung der Bespitzelung wäre Ziegler niemals an den Pranger genommen worden, sondern es wäre weiterhin auf den sich mittlerweile nicht mehr im Amt befindenden Staatsanwälten Georg Boller und Christina Müller herumgehackt worden. Doch statt Dank gebührt dem abtretenden Regierungsrat ungemacht: Nicht wenige Kantonsräte seien der Ansicht, der Ausserschwyzer habe das Loyalitätsprinzip gegenüber seinen Ratskollegen und auch das Amtsgeheimnis verletzt. Offizielle Ermittlungen wurden nicht aufgenommen, der Fokus ist jetzt auf Ziegler gerichtet. Ob der von Ziegler gechasste Staatsanwalt Boller eine Entschädigung erhält, ist ebenso unklar. Der Vorwurf an ihn wegen Amtsgeheimnisverletzung wird neu nicht mehr so formuliert. Neu lautet die Anklage, er habe den geheimen Bericht zur Handydatenaffäre im Mordfall Lucie Trezzini im Sicherheitstützpunkt Biberbrugg/SZ nur in einem falschen Verzeichnis abgelegt, so dass andere Verhörrichter Zugriff erlangten, einer von denen habe es dann den Medien zugespielt, die eifrig aus dem Bericht zitierten.
Schweiz aktuell vom 26.01.2012
Beitrag von Schweiz aktuell über die Anhörung von Martin Ziegler

Der Schwyzer Justizstreit
Seit drei Jahren donnert es gewaltig im Schwyzer Justizdepartement. Das Kantonsgericht und die Staatsanwaltschaft sind sich spinnefeind, an eine anständige Zusammenarbeit sei nicht mehr zu denken. Angefangen hat das Ganze im Zuge der Ermittlungen des ermordeten Au-pair-Mädchens Lucie Trezzini im März 2009. Obwohl die Handyortung den Aufenthaltsort des Mädchens aufgezeigt haben, gab Martin Ziegler die Daten nur zögerlich an die Ermittler frei. Wären denen alle Daten zur Verfügung gestanden, wäre Lucie vielleicht noch am Leben. Damals wurde in einem Gutachten erwähnt, dass Ziegler ein Versehen unterlaufen sei, die Schuld wurde stattdessen den Computerexperten des Eidgenössischen Justizdepartements gegeben. Dummerweise wiederholte sich wenig später, im Sommer desselben Jahres, die Geschichte, als in Schwyz das Mädchen Boi Ngoc Nguyen verschwand. Auch hier weigerte sich Ziegler zur Herausgabe von Daten des Mobiltelefons der Verschwundenen. Dem viel später verhafteten Verdächtigen war die Kantonspolizei Schwyz schon anfangs auf der Spur, doch sie liess von ihm los – das wäre bei der vollständigen Herausgabe der Daten nicht geschehen. Bois Leiche übrigens wurde erst ein Jahr später im Kanton Tessin gefunden – alles Beweise, welche Annahmen zwar bestätigen, aber dies etliche Zeit zu spät.

Lückenlose Aufklärung gefordert
Parteiübergreifend haben alle Fraktionschefs oder Präsidenten eine lückenlose Aufklärung des Justizskandals gefordert. Für die SP und SVP sei Ziegler schlicht nicht mehr im Amt tragbar, während die FDP mit der Einführung einer parlamentatischen Untersuchungskommision (PUK) liebäugelt. Selbst Zieglers Partei, die CVP, deckt dem Juristen nicht mehr vollständig den Rücken. Dennoch hat die Partei vor wenigen Tagen noch ihren Pro-Einfluss in der Regierung festigen können, als der Regierungsrat gegen den Willen von Peter Reuteler den damals leitenden Staatsanwaltschaft Georg Boller mit 4:3 Stimmen und einer fetten Abfindung in die Wüste schickte. Dabei hätte eher Ziegler seines Amtes erhoben werden müssen.
Schweiz aktuell vom 25.01.2012
Schweiz aktuell vom 25. Januar 2012 über die Aufklärungsforderung der diversen Parteien

Jedoch sei auch der Fokus auf die überraschenden Rücktritte der CVP-Regierungsräte Lorenz Bösch und Georg Hess zu werfen, die trotz Bekenntnisse, bis zu den Wahlen 2012 im Amt zu bleiben, im Jahr 2009 ankündigten, per 2010 aus ihrem Amt zu scheiden. Ob diese Regierungsräte im Zusammenhang mit Ziegler und der Affäre Lucie zurücktraten, ist unklar, soll aber geprüft werden.

Kinderschänder darf im selben Haus wie Opfer leben
Ein weiterer umstrittener Entscheid von Martin Ziegler schlägt seit geraumter Zeit im Kanton Schwyz seine Wellen. Er verfügte die Entlassung eines Kinderschänders aus der Untersuchungshaft. Besonders pikant: Der Mann lebt weiterhin Tür an Tür mit seinem Opfer in einem Mehrfamilienhaus in Goldau/SZ. Der Täter habe mit der geistig behinderten 14-jährigen pornografische Filme konsumiert und sich mehrere Male an ihr vergangen, unter anderem im Wald oder im Heizungsraum des Gebäudes. Als Belohnung kriegte das Mädchen jeweils Schokolade. Der als Hauswart tätige Sexualverbrecher habe in besagtem Mehrfamilienhaus diverse Kameras installiert. Das Mädchen war sich der Straftat des 62-jährigen Täters nicht bewusst, erst in der Sonderschule wurde ihm vor Augen gehalten, dass der Hauswart ein Pädophiler sei. Auf einen Beschwerdebrief der Familie ging Ziegler nicht ein, auch gegenüber den Medien wollte er – wie im Justizkonflikt – kein Statement abgeben. Den an diesem Fall beteiligten Anwälten wurde von der Schwyzer Kantonsregierung ein Maulkorn verpasst.
Als Reaktion auf diese Vorgänge in Goldau reichte der Schwyzer Nationalrat Andy Tschümperlin (SP) beim Parlament in Bern eine Motion ein, die besagen will, dass Opfer gegen solche Entscheidungen wie diejenige Zieglers rechtliche Mittel wie beispielsweise einen Rekurs zur Verfügung hätten, dagegen zu rekurrieren. Damit würde nicht nur das Wort des obersten Richters gelten, auch direkt Betroffene würden eine Stimme bekommen.
Tschümperlin erhielt über die Parteigrenzen hinaus Zustimmung, so unterzeichneten auch der Schwyzer SVP-Ständerat Peter Föhn, dessen für den selben Kanton im Nationalrat sitzender Parteikollege Pirmin Schwander, Bea Heim (SP/SO) und die als Bundesratskandidatin gehandelte Tessiner SP-Nationalrätin Marina Guscetti Carobbio.

Siehe auch

  • Schwyzer Justizstreit: Neue Erkenntnis – Gerichtspräsident bespitzelte Staatsanwälte