Stärke 6 – Oder was Sabine Boss aus der Munition im Urnersee herausholte

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An mehreren Wochen im Sommer 2012 wurden in der Region Brunnen/SZ-Urnersee und an der ETH Zürich Dreharbeiten für den Film Stärke 6 unter der Regie von Sabine Boss (Ernstfall in Havanna, Tatort: Hanglage mit Aussicht) durchgeführt, nun wurde er am 3. März 2013 in der Reihe SRF Schweizer Film erstmals ausgestrahlt. Fiktion basierend auf wahren Begebenheiten – vor allem für Ortskundige mit einem Schuss Amusement garniert.

Ein kleiner Felssturz an der alten Axenstrasse mit grosser Wirkung

Kam in Stärke 6 zu filmischen Ehren: Der Föhnhafen Brunnen
Kam in Stärke 6 zu filmischen Ehren: Der Föhnhafen Brunnen
Der Plot von Stärke 6 handelt von der deutschen Geologin Mara Graf, welche gemeinsam mit ihrem Lebenspartner Gian Wyss im Auftrage der ETH Zürich an einen Steinschlag an der Axenstrasse, ausgelöst durch ein kleineres Erdbeben, gerufen wird. Beim darauffolgenden Tauchgang kommt Wyss ums Leben – für Graf beginnt danach ein Spiessrutenlauf, bei der sie im Kampf gegen Polizei und Armee der Wahrheit auf den Grund gehen will. Buchstäblich auf den Grund, denn dieser beherbergt im Urnersee unzähliges Munitionsmaterial als Relikt des Zweiten Weltkrieges. Etliche Wendungen später stellte sich heraus, das just so ein Ding hochgeflogen ist und für den Tod des Tauchers verantwortlich ist.
Fiktion vor historisch wahrem Hintergrund, auch die Darsteller agieren auf beste Weise, insbesondere Claudia Michelsen in der Hauptrolle als Mara Graf und Jessy Moravec (Tatort: Skalpell) als Gians Schwester zeigen ihr Können auf hervorragende Weise.

Wie stimmt der Film mit der Realität überein?

Die Munition im Urnersee entspricht gänzlich der Wahrheit, jedoch ist das Risiko einer Unterwasser-Explosion verschwindend klein. Ebenso entspricht der Wahrheit, dass der Bund auf die Bergung dieser Munition verzichtet.

Tote durch Munition im Urnersee: Fiktion oder Realität? aus Einstein vom 28. Februar 2013

Auch die Gefahr einer Flutwelle ist gering, zuletzt war eine solche 1993 bei Felssprengungen im Bereich der Axenstrasse zwischen dem Wolfssprung und Sisikon/UR befürchtet worden – sie trat nicht ein. Jedoch ist der Vierwaldstättersee diesbezüglich nicht zu unterschätzen, 1601 wurde die Stadt Luzern nach einem Erdbeben von einem Tsunami heimgesucht, 1687 sackte das Muotadelta bei Brunnen ab, was wiederum zu einer Flutwelle bei der Treib führte. In letzterem Fall unternahm die ETH Zürich mit ihrem damaligen Professor Flavio Anselmetti zahlreiche Bohrungen und konnte die Ereignisse anhand von Kernbohrungen rekonstruieren.

Einstein vom 19. Mai 2011 zum Absacken des Deltas bei Brunnen/SZ

Sabine Boss, welche in Bezug auf Realitäten bereits in ihrer Tatort-Folge aus Vitznau, Hanglage mit Aussicht, für Lacher gesorgt hatte, als der steile Aufstieg zur Wissiflue zu Fuss kaum länger gedauert hat als per Bahn, lässt in Stärke 6 den Polizeibeamten Albrecht zunächst mit dem Auto von Brunnen nach Bauen/UR fahren, um diesen den Ort des finalen Showdowns mit dem Armeeoberst Frick beim Felsabbruch in der alten Axenstrasse per Feldstecher inspizieren zu lassen. Mangels Strassen- und Fährverbindung zwischen Brunnen und Bauen muss man in der Praxis den gesamten Urnersee umrunden und dabei auch an der beobachteten Stelle vorbeifahren – kurz und auf deutsch gesagt; Sisyphusarbeit. Vielleicht wäre so der Suizid Fricks verhindert worden, der ja trotz einigen Schlucken Kirsch intus die Kugel präzise im Hals platziert hatte.
Erstaunlich war zudem der Fakt, dass der Unglücksort zwischen Sisikon und Flüelen auf Gemark des Kantons Uri war, für die Ermittlungen jedoch die Schwyzer Kriminalpolizei – die es übrigens als solches gibt, wohl ohne viel Arbeit und nicht im Hauptposten Schwyz angesiedelt, sondern im Sicherheitsstützpunkt Biberbrugg in Bennau – zuständig ist.
Und damit das Klischee der ländlichen Gegend der Innerschweiz nicht ganz durch im Hintergrund dezent in Szene gesetzte Hochhäuser zerstört wurde, durfte natürlich eine Alphütte und eine streunende Kuh nicht fehlen.

Drehorte gut in Szene gesetzt

Ansonsten wurde in Bezug auf die Dreharbeiten bei Stärke 6 gut gearbeitet. An der ETH Zürich fanden diese im NO-Gebäude statt, der Lichthof wurde mehrmals in Szene gesetzt. Dies stimmt mit der Realität überein, im NO (Naturwissenschaften Ost) an der Clausiusstrasse ist das Departement für Erdwissenschaften (D-ERDW) der ETH Zürich angesiedelt, zu welchem auch die Geologie gehört.
In der Gemeinde Ingenbohl kamen vor allem die Gemeindeverwaltung und der Föhnhafen zu filmischen Ehren, in ersterer wurden auch zahlreiche Innenaufnahmen vorgenommen; zudem hatte auch das neue Rettungsboot der Feuerwehr Ingenbohl-Brunnen einen prominenten Gastauftritt.
Nebst dem Unglücksort zwischen Sisikon und Flüelen wurde auch vor dem Polizei-Hauptposten in Schwyz gedreht.
Fazit: Es gab schon schlechtere Filme, die Qualität belief sich so im Bereich, was man von einem Schweizer Fernsehfilm mit doch eher geringeren Produktionsmittel erwarten kann. Filmische Sternstunden holt die Schweiz ohnehin selten – die nächste Chance bietet sich mit Nachtzug nach Lissabon mit Jeremy Irons in der Hauptrolle.

Weblinks

  • Detailinformation zu Stärke 6 von Schweizer Radio und Fernsehen (SRF)
  • Innerschweizer Tsunami – Kritik des Tages-Anzeigers
  • Eine Frau unter Verdacht – Kritik der NZZ
  • Übersicht des Departmentes für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) über Munition in Schweizer Seen (PDF-Datei)
  • Beitrag des Regionaljournals Zentralschweiz vom 3. Februar 2012 über die Rückstände von Armee-Munition im Urnersee (MP3-Datei)